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Nordamerika

Mittwoch, 21. Februar 2007

Über Sprachlosigkeit...

Zum ersten Mal bin ich sprachlos und weiss nicht ein Wort, das mir passend vorkommt. Am ehesten würde ich einen Punkt setzen, einen einzelnen kleinen runden Punkt, oder drei.
Zweihundertzehn Tage bin ich gegangen, gelaufen, gesprungen, geflogen, gewandert, gefahren, geklettert, gekrochen, gefallen, gelegen, gerutscht, geschwommen, getaucht, gereist, über unter neben zwischen und durch Städte, Strassen, Berge, Vulkane, Wiesen, Wüste, Eis, Schnee, Sand, Dschungel, Regenwald, Seen, Flüsse, Meere, Ozeane, habe gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, getastet und gefühlt, habe gedacht, nachgedacht, mich ausgesetzt und auseinandergesetzt, geplant und umgeplant, viel genommen und einiges gegeben, hunderte Menschen aus 68 verschiedenen Nationen getroffen, mich ausgetauscht, mich, andere und etwas anderes Kennen gelernt, Erfahren gelernt, probiert und reflektiert, verglichen und neue Maßstäbe für mich selbst gesetzt, neue Ziele festgelegt, alte Ziele höher angelegt. Und morgen fahr ich heim. Wie simpel das klingt. Wie Realitätsfern, und doch ist dieser Gedanke das einzige, was mir im Moment an den letzten Monaten real vorkommt. Ich habe jeweils zwei Frühlinge und Sommer hintereinander erlebt, kehre nun doch in den Winter zurück, aber nur um einen weiteren Frühling und Sommer zu erleben. In Thailand war ich Kickboxen und Tuk Tuk fahren, in Laos Tubing und mit drei Mönchen spazieren, in Kambodscha zum Sonnenaufgang in einem tausend Jahre alten Tempel. In Malaysien mit Blutegeln und Ratten im Dschungel geschlafen, in Singapur in der U-Bahn M&Ms gegessen, ohne dafür bestraft zu werden, in Indonesien war ich bei einer Kecap Performance und in Australien bin ich mit Manta Rays geschwommen und im Gleitdrachen über kristallklare Seen geflogen. In Neuseeland habe ich ein Auto gekauft und um drei in der Früh einen Vulkan bestiegen, auf den Fijis meine Ukulele gespielt, in Amerika den Times Square fotografiert, in Kanada ein Schneebrett ausgelöst, in Costa Rica einen Fischotter vergeblich zur Milka Schokolade bekehren wollen, mir in Nicaragua von zwei Menschen gleichzeitig die Haare schneiden lassen, in Panama einen Hut gekauft. Die Entscheidung, aufzubrechen, habe ich nie wirklich getroffen. Nie treffen müssen. Es war immer klar, dass ich einmal aufbrechen werde, und ich werde es wieder tun. Jetzt gehe ich zunächst aber zu etwas zurück, von dem ich froh bin, dass es da ist und dass ich dorthin zurückgehen kann. Studium, Freunde, Leidenschaften, Hobbies. Ob in dieser Reihenfolge, weiß ich nicht. Auch wenn es solche Menschen sind, die ich mehr als alle anderen bewundere, bin ich nicht der Charaktertyp, der aufbricht um auf unbestimmte Zeit von etwas fort zu bleiben. Alles muss konkret sein, ganz besonders die Ziele und das Rückreisedatum, und nur dann bleibt genug Zeit, sich einzustellen und abzufinden, nur dann führt das ganze für mich zu etwas. Morgen schließt sich der letzte Kreis, dreihundertsechzig Grad um die Erde. Das Erfüllen von Zielen wie Laos, Australien, Neuseeland oder Costa Rica befriedigt, wirft aber mehr Fragen auf, schafft neue Wünsche, macht die Liste länger. Als eine symbolische Abschlusstat gehe ich ins Planetarium in New York, blicke noch ein Stück weiter über den Horizont als sonst, suche neues, unbekanntes. Und doch lande ich am Abend wieder im Theater, irgendwo neben vierzehnjährigen Freaks aus New Jersey und Japanern, die aus Mangel an physischer Größe nicht über das Stehplatzgelände hinwegschauen können. Einundzwanzigster Februar Zweitausendsieben. Diesen Tag hätte ich mir vor sieben Monaten anders vorgestellt.
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Donnerstag, 15. Februar 2007

Über Airbags, Cheesecakes und Auslaufen...

Während der gesamten Zeit des unterwegs Seins versucht man, das was man denkt und erlebt in Worte und Bilder zu fassen, zu reflexieren, umzuwandeln und zu konservieren. In der Schule wird man gelehrt, am Ende einer Arbeit und oder Auseinandersetzung mit einem Thema zu einem Schluss, einer Einsicht, einer Zusammenfassung zu kommen, den Grundgedanken nocheinmal wiederzugeben. Dazu war New York geplant, als Airbag, das den Aufprall auf das Heimkommen abschwaecht. Als Zeitraum, der mir in ungewohnter Umgebung aber mit gewohnten Umgebenden den Weg zurück in die Fugen vorschlägt. Ich treffe hier auf vier fünftel meiner Familie, sehe, dass alles beim alten ist und sich doch etwas verändert hat, schreibe wieder auf der vertrauten Tastatur meines Laptops und komme mir vor, wie wenn ich noch nie ein ä oder ü gesehen habe, melde mich für ein Seminar an, dass ich in zwei Wochen wieder besuchen soll. "Aaaaaaaaaaaaaaaaaaah" war in der letzten Woche ein fester Bestandteil meines Wortschatzes, die Vorstellung, in vier Tagen in ein Land einzureisen ohne einen Stempel dafür zu bekommen, scheint mir absurd. New York sollte auch eine Art Reakklimatisierung an Vertrautheit sein, und abgesehen vom Klima (Minus Grade, Schneechaos, Schnupfen und literweise Tee) ist das auch der Fall. Ich erkenne das, was einmal Alltag war, und sehe die Verschwommenheit klarer werden, fast wie ein Bild im Guggenheim Museum, das erst Sinn ergibt, wenn man es beim Hinuntergehen der Spirale nach einer Ablenkung durch einhundert andere Bilder zum zweiten Mal betrachtet. Warum kam ich nach New York? Die erste Antwort wird in Zukunft lauten "Cheesecakes", die ehrlichere ist allerdings, "Weil es am Weg liegt". Wieder entdecke ich eine Stadt, die schon im ersten Eindruck vermittelt, dass ich nur hier bin um eine Vorschau auf das zu bekommen, was mich erwartet, wenn ich einmal hierher zurückkomme um zu reisen, arbeiten oder leben, und früher oder später muss das jeder einmal in New York. Die Zeit verbringe ich zu jeweils einem Drittel damit, a. herumzulaufen und zu erkunden, b. Theater, Oper oder Musical anzusehen und c. herauszufinden und zu planen, welche Stücke, Opern und Musicals es spielt, auszuwählen, welche ich sehen kann und will, und schlussendlich einen Weg zu finden, auch wirklich rechtzeitig ein bezahlbares Ticket dafür zu bekommen. Egal ob am Broadway, wo die Augen blutunterlaufen sind von all dem Scheinwerferlicht und die aufgesetzt künstlichen Grinser sich bis zu den Ohrläppchen hinauf ziehen, oder in der Met, wo der Dirigent fuer die Traviata nicht einmal mehr eine Partitur braucht, in New York verfliegen die Abende schneller als der Tag, und obwohl ich in keiner einzelnen Stadt länger war als hier gehen mir die Abende aus, bevor ich wieder in Wien beginne mit dem Repertoir aufzuholen. Freiheitsstatue, Ground Zero, Empire State Building, Times Square. In keiner Stadt gibt es soviele Ikonen, soviele Assoziationen und Bilder, die man schon kennt, bevor man sie fotografiert. An diesem Ort kann man sich gar nicht fremd oder neu fühlen, jede Straßenecke hat man schon einmal in irgendeinem Film gesehen. New York ist die LED Lampe unter den Glühbirnen, auch wenn ich mir selbst nicht ganz sicher bin, was ich damit meine. Die Stadt ist anders im Prinzip, funktioniert anders als übliche Leuchtmittel, leuchtet heller, pointierter, weißer, und erfüllt doch den selben Zweck wie jede andere Stadt. Ich fühle mich jetzt schon wie daheim, und das ist ein ironischer Gedanke, wenn ich mich daran erinnere, noch gar nicht zuhause zu sein. Zu dem erwarteten Schluss, den ich zu Beginn ansprach, bin ich noch nicht gekommen. Das Gefühl, "unterwegs zu sein", habe ich am Flug von Costa Rica nach New York aufgegeben und mit der letzten Seite meines Tagebuchs in den Rucksack gepackt. Jetzt bin ich angekommen, schon da, und blicke mehr vorwärts als zurück. Das Spiel ist abgepfiffen, das erwuenschte Resultat erzielt und uebertroffen. In Gedanken ist man schon beim nächsten, aber der Körper läuft noch auf Hochtouren und nach dem Muster, auf das man ihn trainiert hat. Deshalb läuft man aus, bringt sich ganz langsam von dem Hoch hinunter, um das Ungleichgewicht zwischen Körper und Geist auszugleichen. Zum Augleich empfehlen sich/empfehle ich: Kaffee von Starbucks, die Sitze am vierten Rang in der Met, das M&M Store am Times Square und das Disney Store nicht weit davon, Central Park, trotz Schnee und Eis, Off-Broadway Krimis, das Durchsehen alter Fotos nach einer Wiedervereinigung mit meiner Festplatte, die mich des weiteren von einer Beschränktheit auf 256 MB Musikauswahl erlöst, ein Ausblick vom Rockefeller Center, eine chinesische Neujahrsfeier in Chinatown, das Guggenheim oder MoMA, ein Eishockeyspiel im Madison Square Garden, das Wiedertreffen auf seine Familie, und Cheesecakes. Jede Menge Cheesecakes...

Donnerstag, 25. Januar 2007

Von Umwegen und Muskelkater...

Wer sich einen Kaffee oder Theaterbesuch verdienen moechte, wenn ich wieder daheim bin, soll mir die Frage beantworten, warum man vom Schlafen am Flughafenteppichboden einen Muskelkater im Bauch und den Oberarmen bekommt. Auch wenn man sich beim Schlafsackausrollen mitten im Terminal, Verkriechen unter den Sitzbaenken und Sich-selbst-an-seine-Sachen-Festbinden zunaechst einmal fragt, warum man sich das eigentlich immer wieder selbst antut, fuehlt es sich am naechsten Morgen trotzdem gut an, wenn man die gesparten 25 Dollar in seinen Haenden betrachtet und in Gedanken schon fuer eine neue Erfahrung ausgibt. Ganz anders als beim All-You-Can-Eat Buffet zum Beispiel, bei dem die real gewordene Schlaraffenlandvorfreude nach dem dritten Teller von einer Speiseroehrenoberflaechenspannungsuebelkeit abgeloest wird. Wie auch immer.
Vancouver habe ich verlassen, und nachdem ich ganz hypothetisch in einer Tageszeitung in Frage kommende Wohnungsanzeigen rot eingekreist habe, so wie eine nicht schwangere Frau sich in der Babyabteilung nach Kinderwaegen und pinken Strampelanzuegen umsieht, bin ich schlussendlich in Seattle wieder am Flughafen gelandet, um mit drei Fluegen und zwei Zwischenstopps irgendwann spaet nachts in Costa Rica anzukommen. Fluege, die auf meinem Flugplan stehen, existieren nicht, ich werde von L.A. nach Phoenix geflogen, obwohl mein naechster Flug nach San Jose von L.A. startet. Klingt komisch, ist aber so. Endlich geht mal was schief, denke ich mir, irgendwie freu ich mich sogar darueber, obwohl es so, wie es jetzt ist, im Grunde nur besser ist, da es mir in weiterer Folge nichts tut ausser eine zusaetzliche Nacht zu sparen. Jetzt bin ich also in Arizona, von Kalifornien kommend, und fliege in einer Stunde wieder dorthin zurueck. Rundflug auf Kosten von US Airways, und ein gratis T-Shirt bekomme ich auch, ganz abgesehen von einer weiteren Nacht am Flughafen in L.A.. Aber dort hab ich ja jetzt meinen Schlafplatz, und den teile ich mir fuer eine weitere Nacht mit einem verfehlten Elvis-Imitator, einer indischen Grossfamilie und einem Australischen Privatdetektiv, mit dem ich mich in den naechsten drei Wochen auf die Suche nach Giftpfeilfroeschen begebe...

Dienstag, 23. Januar 2007

Schwarzes Loch

10. Januar

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17. Januar

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21. Januar

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Von einer Erinnerung...

Ich habe im Laufe der letzten 180 Tage immer zu mir selbst gesagt, dass es auf dieser Reise kein Highlight irgend einer Art gibt, geben kann. Keinen Hoehepunkt, kein physisches Ziel, nur einen Weg. Das denke ich nochimmer, und doch gibt es da Punkte, die ich immer nochmehr und nochmehr schaetzen moechte als mit dem ueblichen Grad von Wertschaetzung und Respekt gegenueber all den Orten, die ich besuche. Ein Fluss in Laos, eine Wolke in Kambodscha, ein Riff oder ein Wrack in Australien, ein Moment in Neuseeland. Einfach ein Befinden, ein Gefuehl, hier zu sein, das sich noch einmal von all dem abhebt, was ohnehin schon den Begriff “aussergewoehnlich” verdient. Nach einem halben Jahr unterwegs denkt man, einen Status erreicht zu haben, in dem man alle Gedanken zum Sein, hier Sein und unterwegs Sein schon einmal irgendwo gedacht hat. Eine Praxis entwickelt, ein Kontingent von Gefuehlen und Stimmungen, die entweder in die malerische Sonnenuntergangsumgebung, den Moment des kulturellen Schocks, den Akt, etwas besonderes zu tun oder jegliche andere Situation hineingesetzt, angewertet, bestaetigt und festgehalten werden koennen. Doch immernoch entdecke ich neue Ueberwaeltigungen, neue Gedankenstroeme, die mich in sich selbst treffen und aufs neue ueberraschen. In den letzten Tagen – sie erscheinen mir so kurz, dass ich im Grunde den Begriff “Stunden” verwenden sollte – habe ich wieder eine solche Ueberwaeltigung erlebt. Mit allem, was dazu gehoert, und laenger, als sie fuer gewoehnlich anhaelt. Wieder ist da etwas, das mich an diesem Ort festhaelt, mich nicht gehen lassen will, oder eher schon dazu draengt hierher zurueckzukehren, obwohl ich eigentlich noch da bin. Wie damals, wie vor fuenf Jahren. Hier, wo alles irgendwie begann. Was, weiss ich nicht, aber wahrscheinlich das, was ich glaube heute sein zu wollen, und zu sein versuche. Wenn ich ein gutes Theaterstueck, oder einen Film, sehe, dann ist nach dem ersten Vorhang schon das Beduerfnis da, das ganze nocheinmal zu sehen, zu erleben. Aus einem anderen Sitz, einer anderen Perspektive, vielleicht um eine neue Improvisation und Tagesverfassung der Schauspieler zu erkennen, vielleicht um einen einzigen Moment nocheinmal zu spueren, auch wenn man weiss, dass er in seiner Einzigartigkeit wahrscheinlich kaum wiederholbar ist. Ich dachte mir schon oft, dass es sich mit dem Reisen aehnlich verhaelt, und fuehlte oder wuenschte mir bis jetzt noch in jedem Land, dass es nicht das letze Mal ist, in meinen Reisepass diesen einen unverwechselbaren Stempel mit Aussicht auf Abenteuer und Erfahrung zu bekommen. Anwenden konnte ich dieses Gefuehl, erfuellen diesen Wunsch, jetzt allerdings noch nicht (neue Geschaeftsidee fuer Reisebueros: 720 Grad Round The World Tickets), und so blieb jedes Land bis zu diesem Wochenende eine Premiere. Und dann komme ich hierher. Hierher zurueck. Zu allererst rieche ich, was ich schon kenne, noch bevor meine Augen ueberhaupt adaptieren, was sie schon einmal aufnahmen. Langsam aber stetig kommt alles zurueck. Nach so langer Zeit, nach allem, was dazwischen lag, nach allem, was die direkten Bahnen zu dem, was ich damals erlebte und genauso enthusiastisch wie heute aufsammelte, blockierte. Aber es ist noch da, irgendwo versteckt oder einfach nur verschluesselt, denn alles, was wertvoll ist, muss irgendwie geschuetzt aufbewahrt werden. “Offensichtlich” stellt sich selten als “Wertvoll” heraus. Da bin ich, wieder, aelter, aber immer noch derselbe Mensch. Der Mensch, der ich bin, und nicht waere, wenn ich nicht zu dieser Zeit an diesem Ort dazu geworden waere. Whatever. Morgen frueh bin ich in Costa Rica, und lasse Kanada und einen oder einige sehr gute Freunde zurueck, lasse alles wieder ruhen, sich niederlassen und verstecken, mit dem Willen, sobald wie moeglich wieder hierher zurueckzukehren um es aufs neue zu entdecken. Ueber den Begriff Ursprung und seinen gedanklichen Unterton habe ich in letzter Zeit viel nachgedacht, und wenn es einen Ursprung anders als den eigentlichen Ursprung gibt, dann ist es dieser Ort und das, was ich damit verbinde.
Gedankenexhibitionist, warum schreib ich das eigentlich alles. Geplant war ein Bericht ueber San Francisco, wie ich im Cable Car hin und her fahre, ganz einfach, weil es mir gefaellt, wie ich in Alcatraz Sonnenuntergaenge hinter der Golden Gate Bridge fotografiere, wie ich am Flughafen irgendwo zwischen Starbucks und McDonalds um sechs in der Frueh meinen Rucksack naehe und mir wuensche, in der Schule textiles Werken gewaehlt zu haben, waehrend die Sicherheitsbeamten wie Marktschreier am Hamburger Fischmarkt die ganze Bevoelkerung dazu aufrufen, sich die Schuhe auszuziehen, wie ich die Couch einer San Francisco Konservatorium Studenten WG surfe, die amerikanische Gastfreundschaft wie die einer jeden anderen Nation zu schaetzen lerne, und dem Chellisten dabei zusehe, wie er auf meiner Ukulele den Walzer aus der Fledermaus vom Blatt spielt, waehrend ich zwei Wochen mit den vier Akkorden von “Can’t Help Falling in Love” kaempfe, wie ich von einem Bus in den naechsten steige, mich von der Zollbeamtin fragen lasse, ob “Salzburg” mein Familienname ist und anderen zum wiederholten Mal versichere, dass es in meinem Land keine Kaenguruhs gibt. Ueber Seattle und Vancouver haengt die dickste Wolkendecke, durch die ich jemals geflogen bin, sodass um 12.30 Uhr Mittags Weltuntergangsstimmung aufkommt. Dreiunddreisig Tage noch, Zweiunddreisig Tage noch, Einunddreisig Tage noch zaehlt mein Kopf den depressiven Countdown, und freut sich trotzdem noch so sehr auf jeden einzelnen. Nachwievor gibt es soviele Dinge die ich noch nicht erlebt, noch nicht gesehen, noch nicht gespuert habe, und mit jedem Land, dessen Grenzen ich ueberquere, fuege ich mindestens zwei andere zu der Liste derer hinzu, die mir in Planung und ganz bestimmt in der Motivation noch bevor stehen. Die Dichte, die Kompression erreicht einen neuen Grad von Enge, wird zu einer Ansammlung von Masse, die wie ein schwarzes Loch oder eine Lawine alles verschlingt, das im, oder in meinem Falle am, Weg liegt. Appropros Lawine. Vor elf Tagen war ich auf einer suedpazifischen Insel, gestern wandere ich mit Schneeschuhen bei 30 cm Neuschnee den Mt. Seymour hinauf, um ihn schlussendlich in einer kleineren Lawine wieder hinunterzu… aehm… rutschen. Einen dieser Momente, den man nicht unbedingt nocheinmal erleben moechte, aber wenn man dann von einem Wald aufgefangen zum Stillstand kommt, froh darueber ist, dass ihn ein anderer gefilmt hat. Ich dachte immer, dass es die Konservierung von Erinnerungen ist, die zaehlt und einen davor bewahrt, alles zu verlieren, wenn man auf sich selbst und die Staerke seines Gedaechtnis nicht mehr zaehlen kann. Nach den letzten Stunden in Vancouver komme ich zurueck zum Ursprung, zum Vertrauen an die Erinnerung selbst, und stelle fest, dass der Akt, sich an etwas zu erinnern, dass man vergessen glaubte, staerker, wahrer und schoener ist, als ein Foto oder Tagebucheintrag, die wunderbare Hilfsmittel, aber leider auch nur ein zweidimensionaler Abdruck des Eigentlichen, des Wesentlichen sind.

Dienstag, 16. Januar 2007

Von Stars and the Strip...

Das eigenartigste an L.A. sind all die Busse, die durch diese zugegeben riesige Stadt fahren und in Verkehrsodysseen Orte erreichen, die man nicht kennt, aber irgendwo schon einmal gehoert hat. Melrose, Montana, Gilmore, neben dem ueblichen Beverley, Hollywood oder Santa Monica. Und jetzt, jetzt war ich auch endlich einmal dort, und erstmals auf dieser Reise gings im Grunde nur darum. Dort gewesen zu sein. Ein Foto mit dem HOLLYWOOD Zeichen, der Versuch meine auseinanderfallenden Schuhe in die klein erscheinenden Abdruecke des Terminators zu quetschen, Sean Connery, wie er aus seinem Haus kommt und sich den Hut weit ins Gesicht zieht um vor den im Halteverbot haltenden "Movie Stars' Homes Tours" Bussen zu fliehen, ein Sonnenuntergang von der Veranda der Baywatch Huette, das niederlassen in einem dunkelroten Samtsitz des Kodak Theatres neben einem lebensgrossen Schwarz-Weiss Bild von George Clooney auf Karton, King Kong und der weisse Hai in den Universal Studios. Hier leben sie also, hier schmeisst Paris Hilton ihre Party, hier passiert dies, dort passiert das, und ich bin hier, eben dort, und lasse mir einreden, mich im Zentrum der Welt zu befinden. Who's the guy in the Ferrari over there? Which Ferrari, the one on the left or the one on the right? No, actually I meant that Ferrari over there! Oh, that's no one, but look at the guy in the Bentley over here. Nach zwei Tagen hat man genug, genug von rosa Sternen, genug von Ham-, Chicken- und Cheeseburgern, und doch nicht genug von der Atmosphaere, dass sich hier alle wichtiger nehmen, als sie sind, inklusive der Touristen, die so wie ich von dem, was sie sehen, auf den Boden der Normalitaet und Realitaet zurueckgeholt werden. Wie beim Fast Food fuehlt man sich satt und ueberfuellt von dem, was man sieht, und trotzdem kann man nicht aufhoeren, nicht genugbekommen. Schaut nachwievor durch jede verdunkelte Scheibe, geht nachwievor zur Polizeiabsperrung vor dem roten Teppich der Golden Globes, erkennt zwar wieder nur hochtoupierte Frisuren, die sich schnell und professionell in die warmen Innereien des Beverly Hilton verziehen, fuehlt sich aber wohl dabei, von der Polizei immer wieder als "nicht wichtig genug", "nicht beruehmt genug", nicht relevant ab- und zurueckgewiesen zu werden. Vor vier Monaten stand ich im Zentrum von Phnom Phen, als sich zwei Mopedfahrer darum schlugen, wer mich fuer fuenfzig Cent zu meinem Hostel zurueckbringt. Wenn ich das sehe, was ich hier sehe, komme ich mir schlechter vor als damals, und doch ist da nachwievor dieses eigenartig positive, fast gute Gefuehl, hier zu sein, hier zu stehen, hierbleiben zu wollen. In der Nacht wandelt sich das Bild der Stadt, wankende Gestalten erscheinen wie Vampire an jeder Ecke, und endlich ist es weg, das Gefuehl. Die Stadt der Engel wird zu einer normalen Grossstadt, einer grossen und dunklen und kalten. Wieder ist da so ein Loch zwischen dem, was ich in diesem Moment tue und dem, was ich in einem andern Land vor wenigen Tagen tat. Man lebt nur im Jetzt, denkt kaum an gestern und maximal an den naechsten Tag. Die zwei Tage, in denen ich auf den Fijis den Herr der Fliegen verschlungen habe wirken genauso lange vergangen wie das Mal vor fuenf Jahren, sodass ich mich kaum noch darann erinnern kann. Am Telefon sagt man mir eine Adresse, die ich viermal laut vor mich hin wiederhole und ploetzlich vergessen habe. Aber darauf, wo es mir ankommt ist, dass ich den Ort trotzdem finde, unterbewusst dorthin gehe, ohne zu wissen, warum gerade in diese Richtung. Ploetzlich stehe ich vor einem Haus, dass mir richtig erscheint, warum, weiss ich nicht, aber trotzdem richtig. Ich schaue auf die Hausnummer, 2260, das wars, ploetzlich ist es wieder da. Alles, was ich auf diesem Weg hoere, sehe, lese, lerne spielt irgendeine Rolle, und auch, wenn ich nicht weiss welche, oder warum es passiert, oder was eigentlich passiert, bin ich mir doch sicher, dass ich mich irgendwann daran erinnern kann und mich dann darin bestaetigt fuehle, dass es richtig war. Im vom mcDonaldsGeruchgepraegten Bus fahre ich sechs Stunden durch die Wueste und finde mich ploetzlich auf einer Strasse, die man Strip nennt, und bewundere zu Elton John's "Your Song" die Springbrunnen vom Bellagio. Die Leuchtstreifen vom Flamingo zeigen minus drei Grad Celsius in Fahrenheit an, direkt neben den Sportergebnissen und der Schlagzeile, dass Saddams Bruder gehaengt wurde. Den ganzen Tag denke ich darueber nach, wie ich es anstellen werde. Auf einen unbewussten Impuls hin setze ich mich ploetzlich an einen Tisch, es fuehlt sich richtig an, obwohl ich Black Jack nicht mag. Schon taucht aus dem Nichts ein Mann im Anzug auf und fragt nach meiner ID. In Gedanken geprobt ziehe ich meinen Reisepass aus der Hosentasche, ohne ihm in die Augen zu sehen. Er schlaegt ihn auf, ich stelle mir vor, wie er in diesem Moment 2007 minus 21 rechnet. Ohne ein weiteres Wort reicht er mir meinen Pass wieder und verschwindet zurueck ins Nichts. Der Bluff funktioniert, ich sollte Poker spielen, denk ich mir, dass Faktum, dass ich erst in zweieinhalb Wochen 21 werde spielt keine Rolle, geht unter in der Schwierigkeit der Rechnung. Oder im vorgetaeuschten Selbstbewusstsein. Da sitz ich nun, am Black Jack Tisch, und frage mich, was ich eigentlich hier will. Fuenf Dollar Einsatz! Fuenf Dollar! Das sind zwei Naechte, drei Mahlzeiten und ein Fahrrad fuer einen Tag in Laos. Im Grunde gings doch nur um die Herausforderung, mich hinzusetzen, wo ich nicht sollte. Gut, ein Spiel, jetzt, wo ich schon da bin. 19, nahe genug an 21 um mich ueber einen Triumph zu freuen. Fuenf Dollar! Mein Abendgewinn, ich sollte aussteigen und feiern gehen, aber schon ist es da, das Ein-Spiel-noch. Koenig. Vier. Karte! Junge. Drueber. Instinktiv stehe ich auf, lass mir von meinen Australischen Kumpanen die fuenf Dollar zurueckwechseln um die Rechenfaehigkeit der Sicherheitsbeamten nicht nocheinmal auf die Probe zu stellen, verlasse die Spielhalle, verlasse das ganze Hotel, weit weit weg will ich, schau mir lieber wieder die Springbrunnen vom Bellagio an. Wenn ich jemals hierher zurueckkomme, dann, um Leute zu beobachten, nicht um zu spielen. Las Vegas, wieder so etwas, das man gesehen haben muss, um es zu glauben, um es zu verstehen. Und wie gesagt, deshalb bin ich ja auch hierhergekommen. Nun bin ich in einer Stadt, die anders ist, zumindest vom ersten Eindruck her. Ich mache mich auf die Suche nach einer Blume, die ich in den Haaren tragen kann und geniesse die wenige Zeit, die noch bleibt.

Freitag, 12. Januar 2007

Und taeglich gruesst das Murmeltier...

Nochimmer ist der 11. Jaenner, seit mittlerweile ueber einundvierzig Stunden. Dreiundzwanzig davon noch in und auf den Fijis, zehn einige Kilometer ueber dem Pazifik und schon acht in dieser eigenartigen Stadt, die von der Luftqualitaet her gesehen Bangkok Konkurrenz macht und Downtown Rom wie einen botanischen Garten erscheinen laesst. Aber ich kann nicht sagen, dass es mir nicht gefaellt. Das erste, was ich entdecke, sind die Fuss- und Handabdruecke von Robin Williams, neben denen "Carpe Diem" in den Beton gekritzelt steht. Danach warte ich zwei Stunden auf der Strasse vor einem Fernsehstudio, um die Darstellerinnen von Desperate Housewives live zu sehen, vergeblich, dafuer spricht mich ein scheinbar zwei-Meter-zwanzig-grosser Mann an und fragt mich, ob ich schon einmal darueber nachgedacht habe, zur Armee zu gehen. Ich sage ihm, dass ich aus Oesterreich komme und er fordert mich auf, Arnold mit nachhause zu nehmen, auch wenn ich Probleme haben koennte, ihn in meinen Rucksack zu packen und durch den Zoll zu schmuggeln. Die Atmosphaere ist ganz anders als ich erwartet haette, die Stimmung merkwuerdig. Aber doch irgendwie passend, vielleicht waren meine Erwartungen einfach weltfremd. Nicht magisch ist es hier, sondern ganz real, kuenstlich, und doch irgendwie menschlich. Im Grunde ist das hier doch auch nur ein Ort, an dem vieles zusammenlaeuft, vorallem Menschen aus unterschiedlichen Hintergruenden, und dass einige von ihnen beruehmt sind und im roten Abendkleid ueberdimensional uebermenschlich am Kodak Theatre haengen, spielt im Grunde keine Rolle mehr. So falsch Klischees oft sein koennen freut man sich innerlich doch immer wieder darueber, wenn man das eine oder andere bestaetigt findet. Am Weg vom Flughafen zum Hollywood Boulevard habe ich 36 Flaggen gezaehlt, wasweissichwieviele Streifen und noch wesentlich mehr Sterne, und das obwohl ich mit der Ubahn gefahren bin. Beim Einreisechaos werden zwei Finger pro Mensch gescannt, Sicherheitsbeamte schreien sich gegenseitig an und Kinderwaegen rammen Rollstuehle, die eigens Asylanten ohne gueltiges Visum rammen. Worte wie "Nation", "Enforcement", "Freedom", "Professionalism", "Protection" und "Security" glaenzen regelrecht von jedem Winkel der sterilen Halle, die von schrecklich kaltem und unmenschlichem Licht erhellt wird. In diesem Land regiert das postvokale R, eine Nation reflektiert immer die Art und Weise, wie sie sich selbst behandelt
Zeit ist relativ, so wie alles, und obwohl ich nach wie vor versuche, mit annaehernd c mehr aufzunehmen und -zusaugen, als irgendmoeglich geht, dehnt sie sich nur auf meiner Uhr, nicht aber in Gedanken oder der Wahrnehmung. Der Raum aber verkuerzt sich wirklich, Distanzen wie der groesste Ozean unserer Erde koennen in sechs Stunden Schlaf, zwei portionierten Mahlzeiten und einem Woody Allen Film zurueckgelegt werden, stellen einen scheinbar geringeren Aufwand dar als Wien-Salzburg am Ende des Semesters. Heute Mittag bin ich noch am Strand gelegen, wenn auch vor ueber vierundzwanzig Stunden. Kokosnuesse pfluecken, schaelen, koepfen, trinken, raspeln, essen. Immer wieder von zwei Gitarren und einer Ukulele begruesst zu werden. In einer aehnlichen Umgebung die groessten Unterschiede zu erfahren, vom Leben mit Einheimischen in einem kleinen Dorf bis zum Tiramisu serviert bekommen im Urlaubsresort. Dazwischen immer wieder ein Sonnenunter- oder vorzugsweise -aufgang, der den Himmel und die Wolken tief rot faerbt, der sich selbst wiederum im Meer spiegelt und die ganze Atmosphaere entzuendet sodass die Luft zu brennen scheint. Busse in Fiji haben Klimaanlagen aber keine Fenster, die Prediger am Sonntag begeistern eine Menge, die im Regen steht, auch, wenn ihr Temperament eher an das eines italienischen Jugendsporttrainers erinnert, der sich ueber eine ungerechte Schiedsrichterentscheidung echauffiert. Was mir von diesen Inseln und allen Eindruecken, die ich mit ihnen verbinde, am staerksten in Erinnerung bleibt, weiss ich jetzt noch nicht. Es koennen aber nur positive Dinge sein.

Henry David Thoreau

I went to the woods because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.

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22. Februar!


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Zuletzt aktualisiert: 12. Dez, 15:54

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