Mittelamerika

Samstag, 10. Februar 2007

My Heart will go on...

Nach einer viereinhalbstuendigen Bootsfahrt auf einem engen Kanal durch den Dschungel komme ich in einem Dorf mit 690 Einwohnern an, das dafuer weltbekannt ist, dass sich gelegentlich einhundertachtzig Kilo schwere Schildkroeten den Strand hinaufwuzeln um hunderte Ping Pong Baelle o.ae. zu vergraben. Ich wundere mich ueber die Natur, warum die Dinge so sind, wie sie sind, warum sie so aussehen, wie sie aussehen, und trotzdem koennte ich sie mir nicht anders vorstellen, muss ihnen eine gewisse Perfektion anerkennen. Und Schoenheit.
Ich gehe durch das Dorf, aus einem Fensterrahmen ohne Fenster toent Celine Dion's "My Heart will go on". Zwanzig Schritt weiter toent das selbe Lied aus einem unterschiedlichen Haus. Fuenf Minuten spaeter ist es nochimmer zu hoeren, aus einem dritten Haus, das ich passiere. Was ist denn hier los, denk ich mir, ich dachte ich bin mitten im Dschungel. Bin ich auch, aber mein nichtvorhandenes Spanisch hilft mir an der Dorfinformationstafel zu entziffern, dass amerikanische Entwicklungshelfer soeben eine Schulband gegruendet haben und den Titanic Soundtrack einstudieren um die Lebensqualitaet der Menschen hier zu verbessern. Das halt ich nicht aus, denk ich mir, ich leih mir ein Kajak und verschwinde tiefer in den Dschungel, dorthin, wo es keine Entwicklungshelfer gibt, benoetigt, dort wo man den Dingen am besten tut, indem man sie in Ruhe laesst. Tortuguero ist der letzte Regenwald, dem ich mich auf dieser Reise aussetze, und stellt mit seiner alles uebertreffenden Tierwelt einen unglaublichen Abschluss dar. Man stelle sich einen natuerlich angelegten Tiergarten ohne Zaeune vor, verdopple die Anzahl und Vielfalt der Arten und halbiere die Besucher, dann ist man immernoch weit von dem entfernt, was ich von Tortuguero in Erinnerung behalten werde. Leguane, Affen, Kaimane, Fischotter, Tukane und hundert ander Voegel, und das sind nur diejenigen, die sich gerne herzeigen. In so einer Umgebung vergisst man die Zeit, und das ist genau das, was ich im Moment brauche. Ich verbringe einen ganzen Nachmittag, Tag, zwei Tage dort und bekomme nicht genug, wundere mich und staune. In der letzten Woche habe ich mehr Schlangen gesehen als auf dem Rest der ganzen Reise, werde von der Euphorie zum Leichtsinn getrieben und lasse mir erst im Nachhinein von einem Biologiestudenten erklaeren, welche Dosis Nervengift ich da von zehn Zentimetern Entfernung begutaeugle und auf meiner Memorycard neben ausbrechenden Vulkanen, mittelamerikanischem Marktgeschehen und jagenden Giftpfeilfroeschen verewige. Ich geniesse die letzten Menschen und Charaktere, die ich auf dieser Reise suche und kennenlerne. Eine franzoesische Fernsehjournalistin, eine Biochemikerin und ein Landkartenzeichner aus Amerika, ein Kinderarzt aus Deutschland, zwei Aussteiger aus Wien, die in Panama selbstgeflochtene Armbaender auf der Strasse verkaufen, ein Costa Ricanischer Security, der sich zur Ruhe gesetzt hat und nun die Jugendherberge seiner Mutter bewacht. Was werde ich vermissen, die Menschen selbst oder einfach nur die Intensitaet, mit der ich sie treffe? Nein, sag ich mir, ich bin nicht der Typ Mensch, der etwas vermisst, obwohl ich gerne daran zurueckdenke. Wenn ich uebermorgen in das Flugzeug nach New York steige und dort nach sieben Monaten auf einen Teil meiner Familie treffe geht ein Abschnitt zu Ende, beginnt ein neuer. Das Erleben an sich wird abgeloest von einer Phase der Erzaehlung, die Phase der Erinnerung. Wenn ich beginne darueber zu berichten, was war und was gewesen ist, wird keines dieser Erlebnisse jemals wieder so unmittelbar und echt sein, wie es sich im Moment noch anfuehlt. Zur Realitaet hinzu kommt der Rueckblick, unter die Erinnerung mischen sich Assoziationen. Ich fuerchte mich schon jetzt vor Fragen wie "Wie war's" oder "Wo hat's dir am besten gefallen". Erzaehlungen und Geschichten setzen Schwerpunkte auf gewisse Erlebnisse, die sich leichter und spannender vermitteln lassen, verdraengen aber oft die Kleinigkeiten und Details, die eine Erfahrung dazu machen, was sie ist. Am liebsten wuerde ich entweder in einem siebenmonatigen Vortrag das komplette Programm erzaehlen oder aber gar nichts, einfach eine Menge Flugtickets besorgen und jeden Menschen selbst dorthin schicken, ihn selbst sehen lassen, sie selbst empfinden lassen.
Drei Wochen in Costa Rica inkl. Abstecher in die Nachbarlaender sind ein Verbrechen. Ein groesseres Verbrechen als fuenfeinhalb Wochen Neuseeland, ein Serienmord im Vergleich zu zwei Monaten Suedostasien. Was Lateinamerika heisst weiss ich immer noch nicht, wie soll man das auch herausfinden in so kurzer Zeit. Als ich heute allerdings erneut durch die Strassen San Joses ging empfand ich viele Dinge als normal, die mir vor drei Wochen noch stoerend vorkamen, und schaetzte andere Dinge in einem besonderen Ausmass, die mir das letzte mal wiederum normal und gewoehnlich erschienen. Mehr Zeit und Spanisch, das ist die Grundvoraussetzung fuer die naechste grosse Reise hierher, denn im Moment kann ich es nichteinmal dem verfehlten Trickbetrueger uebelnehmen, dass er mich mit meinem "I love SF" T-Shirt sowohl damals als auch heute plump und ungeschickt wie eine Weihnachtsgans ausnehmen wollte. Die selbe Tour, die selbe Strassenecke. Die selbe Stimme. Ich mag mich schwer tun, mich an die hundert Namen der Menschen zu erinnern, auf die ich in den letzten Monaten gestossen bin, aber ihre Stimmen vergesse ich nicht, die Stimme ist die eine Koerpereigenschaft, die mir am staerksten in Gedanken haengen bleibt, mein persoenliches Souvenir, das ich mir von jedem Kontakt aufbehalte. Appropros Sourvenirs. Hier und dort merke ich schon, dass es mit der Zeit Zeit wird, nachhause zu gehen. Ohne Probleme koennte ich noch zwei Monate, sechs Monate oder ein Jahr weiterreisen, und doch komme ich mir langsam vor wie ein wandelnder globaler Souvenirtandler. Ein dutzend T-Shirts, eine Ukulele, zwei Huete, ein Ring, ein Stueck Holz, ein Stoffaffe, ein Kilogramm Kaffe und wasauchimmer ich da sonst noch so in den tiefsten Abgruenden meines Rucksacks mit mir herumschleppe. Es ist Zeit, auszuladen. Ich dachte immer, dass man deshalb an einen Ort und ein Zuhause zurueckkehrt, um aufzutanken, um etwas aufzusammeln, das man zuerueckgelassen hat, und doch verhaelt sich das Reisen wie ein Perpetuum Mobile, ermoeglicht einem sich von neuen, unbekannten Dingen zu ernaehren. Ich mache mich auf den Heimweg, weil es Zeit dazu ist, zumindest versuche ich mir das auf allen Ebenen einzureden.

Montag, 5. Februar 2007

Ueber die neunzigste Minute...

Das Spiel naehert sich der Endphase. Gestern habe ich den letzten und vierzehnten Stempel in meinen Pass bekommen, in Panama bekommt man fuer einen US Dollar zweiundzwanzig Bananen. Wie ein kleines Kind vor Weihnachten zaehle ich die Naechte bis zum Tag X, aber gleichzeitig habe ich mich damit abgefunden, und somit einen Punkt erreicht, an dem Zeit und das Ablaufen von Zeit keine Rolle mehr spielen, sondern eine Zeitlosigkeit in den Vordergrund rueckt. In dieser Phase, dem Beginn der Nachspielzeit, geht es nicht mehr um ein Resultat, das sich nur aeusserst unwahrscheinlich noch aendern koennte. Es geht um das Spielen selbst, um die Freude am Spiel, um die Rueckkehr zum Ursprung, der Motivation, warum ich diesen Sport eigentlich begonnen habe. Es beginnt die Eigenheit, in der alles an Bedeutung gewinnt, es beginnt das Zurueckdenken an den Weg, der einen dorthin gebracht hat hat, wo man sich jetzt befindet. Und doch ist man noch da, auf eben diesem Weg, der unverweigerlich wieder dorthin zurueckfuehrt, wo man begonnen hat, auch wenn man dort als anderer Mensch ankommt, so vermute ich. "Wo bin ich hier und jetzt?", frage ich mich, doch darauf folgt ein "Wohin kann ich von hier aus weitergehen?", und nicht ein "Wo wollte ich eigentlich hin, als ich aufbrach?" In allem, was ich tue, geht es normalerweise um ein Ziel, das ich bis zur Erfuellung verfolgen will. Und doch ergibt sich immer schon ein neues Ziel, bevor das erste, eigentliche, ueberhaupt erreicht ist. Vielleicht wiederspreche ich damit dem Dailei Lama, Konfuzius oder von mir aus auch dem Papst, aber der neue Weg fuehrt meistens weiter, schliesst das alte Ziel mit ein, und sorgt so fuer ein Kontinuum der Motivation. Ich befinde mich in der neunzigsten Minute, freue mich zwar auf das Auslaufen nach diesem einen Spiel, aber umsomehr auf den Beginn eines neuen, uebergeordneten Wettkampf, an dem ich nicht teilnehmen duerfte, wenn ich nicht erst in diesem Spiel angetreten waere. Aus dem Moment, den ich hier und jetzt erlebe, aus dem Zurueckdenken an das, was war, folgt einerseits eine Zufriedenheit mit dem, was jetzt ist, eine Rueckkehr zum Ursprung, und trotzdem der Beginn von etwas Neuem. Oh wie schoen ist Panama, sagt Janosch. Das bezieht sich weder auf die Zukunft, noch auf die Vergangenheit. Ich denke aehnlich, aber so vollkommen wuerde ich beides nicht ausser Acht lassen.
m

Sonntag, 4. Februar 2007

Ueber Bestechungsgelder, 21 und Morbus Ritardando Rhythmus...

Ja... ich... aehm. Morbus Ritardando, die extreme Verlangsamung, frei nach Gert Jonke. Die Karibikkueste Costa Ricas ist eine Ansammlung von Originalen. Charaktertypen, die man in einem Bilderbuch nicht schaerfer zeichnen koennte. Erst einen Nachmittag bin ich da, aber morgen hau ich ab, ueber die Grenze, in ein anderes Land, diese absolute Langsamkeit hier und in all den Menschen halt ich nicht aus. Wie sie schauen, wie sie reden, oder bessergesagt dazu ansetzen, weil bis zum eigentlichen sprechen vergeht schon eine Minute, wenn sie sich ueberhaupt entschliessen zu sprechen. Den Begriff Zeit gibt es hier nicht, und wenn doch, wird er von der Gesellschaft ignoriert. Karibik, Rasta, Reggae... ich hab mir das immer anders vorgestellt, nicht so, und doch bekommt man das Gefuehl, dass es echt ist, so wie es hier ist, und das was wir kennen nur ein zweidimensionaler Abdruck. Wieauchimmer, schoene Straende aber nicht meins, Ende des Kapitels, morgen fahr ich nach Panama.
Das Land mit den gemuetlichsten Haengematten (und ich wage zu behaupten, dass ich darin mittlerweile Erfahrung habe) hab ich wieder verlassen, leider schon nach fuenf Tagen. Und erstaunlicherweise vollkommen ohne Probleme... was einem von anderen Reisenden da fuer Schauermaerchen aufgebunden werden: Bestechungsgelder, tagelange Wartezeiten und Quarantaene. Aber ich hab so eine Unkompliziertheit schon irgendwie erwartet, und da ich Nicaragua trotzdem nicht verlassen wollte, so ganz ohne den geringsten Bestechungsversuch zumindest, hab ich in Granada Prophylaxe betrieben. Und wenn, dann bestech ich doch gleich einen Priester, der mich fuer einen Dollar auf seinen Kirchturm steigen laesst. Zurueck in Costa Rica komme ich zum ersten Mal auf dieser Reise in einem Dorf an, in dem scheinbar kein einziges Bett frei ist. Nach einer Stunde Herbergssuche, ironischer Weise mit zwei Israelis, finde ich dann doch noch eine Matratze, in der ich ohnehin in dieser Nacht nicht zu schlafen plane. Ich schreibe die Zahl 21 in den Sand, ein Australier fragt mich, was das soll, ich erklaere ihm dass sie fuer die Anzahl der Jahre steht, die ich auf diesem Erdball verbracht und genossen habe. Offenbar ueberreisst er nicht, was ich damit meine, aber ihm gefaellt die Idee, und deshalb schreibt er auch sein Alter in den Sand, einfach so zur Wertschaetzung des Lebens. Ich fuehle mich wieder einmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, treffe auf die perfekte Auswahl an Amerikanern, Kanadiern, Argentiniern und Australiern, um das Faktum zu feiern (oder zu betrauern), in keinem Land dieser Welt jemals wieder Kind sein zu duerfen. Ueber Mitternacht geh ich im Pazifik baden, mehr oder weniger, und das beste daran ist, noch am selben Tag auch im Atlantik zu schwimmen. Darauf hab ich mich gefreut, mir gefaellt einfach der Gedanke. Ich treffe wahrscheinlich keinen einzigen dieser Menschen jemals wieder, und doch war es gut, sie fuer die eine Nacht kennen zu lernen. In einem anderen Land spielt es keine Rolle, wie lange eine Freundschaft schon besteht oder noch bestehen wird, es geht wie immer nur um den Moment, und der fuehlt sich gut an. Was Lateinamerika wirklich ist, weiss ich nochimmer nicht. Vielleicht ist es doch auch nur wieder so ein verfehltes Gedankenkonzept, das zwar in mancher Weise an die Realitaet erinnert, aber nicht unbedingt ein Abbild davon zeigt. Seit dem ersten Tag in Costa Rica moechte ich etwas ueber das Thema Rhythmus schreiben, aber das was ich dazu denke, ist nicht erfuellend genug. Ja, Rhythmus ist das beste Wort um das Gefuehl zu beschreiben, hier zu sein, rechtfertigt, dass es einem gut geht, wenn man um vier in der Frueh in einen Bus steigt, muede ist, sich aber nicht muede fuehlt. Musik ist hier ueberall, der Rhythmus, den man sucht und erwartet, ueberall vorhanden, und doch wird nicht das gespielt, was man sich in Gedanken ausmalt. Auch in Lateinamerika gibt es den Rhythmus der Eintoenigkeit, die selben Schlaege immer und immer wieder, und das enttaeuscht. Ich schreibe das aber nicht eben deshalb, weil ich enttaeuscht bin, sondern vielmehr, weil es dadurch leichter faellt, neue Rhythmen und Toene zu schaetzen. Auch hier gibt es Dinge, die herausstechen. Etwas Einzigartiges waere nicht einzigartig, wenn es nicht in Relation zu etwas Eintoenigem stehen wuerde. Ich suche hier nach den Synkopen... Nicaragua ist voll davon, in Costa Rica muss man etwas mehr danach suchen. Der Raggae dieses Ortes tut mir mittlerweile in den Ohren weh, aber wie jedes Land hat Costa Rica mehr zu bieten als nur eine Musikrichtung.

Mittwoch, 31. Januar 2007

Ueber Gefuehl, kleine Brueder, Schall und Rauch...

Egal ob man von Thailand nach Laos kommt, von den USA nach Kanada, oder von Costa Rica nach Nicaragua... irgendetwas veraendert sich im Gefuehl, in der Einstellung, hier zu sein. Der Ansatz zur Auseinandersetzung mit einem fremden Land beginnt zunaechst immer einmal mit dem Namen, der sich spaeter zumeist als unwesentlich herausstellt. Thailand - das Paradies Suedostasiens. Costa Rica - verkauft sich am Werbeplakat sicher besser als Nicaragua. USA - im Grunde nur eine Umschreibung fuer den Nordamerikanischen Kontinent. Und doch haben die "kleinen Brueder" etwas faszinierendes an sich, wenn mal erst einmal da ist, ganz egal ob sich das auf besondere Charakterzuege bezieht, oder einfach nur auf das Faktum, dass sie eben nicht der grosse, bekannte Erstumworbene sind. Die ersten Tage in Costa Rica waren in jeder Hinsicht faszinierend, und trotzdem fuehle ich mich nocheinmal wohler, seitdem ich vorgestern den zugegeben eigenartigen Namen Nicaragua in meinen Pass gestempelt bekommen habe. Viel Zeit habe ich nicht, und trotzdem ist das Bild, den Eindruck den ich bekommen habe, schon wesentlich konkreter als das, was ich ueber Costa Rica denke. Im Moment befinde ich mich in Granada, nach zwei wunderbaren Naechten in der Heimatstadt Ruben Darios, Leon. An welchen Parametern man das Gefallen oder Misgefallen einer Stadt, eines Landes, messen kann, weiss ich noch immer nicht, aber grundsaetzlich hat es einfach mit dem Gefuehl zu tun, dort zu sein. Nicaragua ist zugegeben das Land fuer Transportmasochisten, abgesehen von Kambodscha, wo das ganze mehr mit Folter als Masochismus zu tun hat, und trotzdem wird man nicht muede von dem, was man sieht, wenn man aus dem Fenster schaut. Wie immer bieten sich zwei Moeglichkeiten, an einen neuen Ort zu kommen. Den direkten, in dem man um acht in einen Bus mit verdunkelten Fenstern steigt und fuenf Stunden spaeter vor seinem im voraus gebuchten Hostel abgeliefert wird. Oder die Variante, in der man um vier unter lateinamerikanischem Sternenhimmel einen Bus ohne Tueren aber der doppelten Menge Sitzbaenken betritt, im Halbschlafkoma von der Quantas Economy Class traeumt und sich mit jedem weiteren Fahrgast, der einsteigt, aufs neue wuenscht, nicht im Jahr von Tschernobyl geboren worden zu sein. Man steigt sechs Mal um, sucht in Managua, der Stadt mit dem groessten Potential, am helllichten Tag ausgeraubt zu werden, nach einer Bushaltestelle, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen (Selber Schuld!), ohne Stadtplan und generell ohne Plan, an welche Haltestelle man eigentlich will. Trotz voraussehbarer Magenvergiftung (klingt im deutschen wesentlich brutaler als das englische Foodpoisoning, das scheinbar schon fuer versalzte Suppen verwendet wird, also keine Sorge) probiert man sich dann durch alles essbare, das irgendwie unbekannt scheint und bei 15 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit von Sitznachbarn verkauft wird. Lernt schlussendlich doch das Basisspanisch aus dem Lonelyplanetanhang und stellt sich selbst die Bedingung, erst wieder hierher zurueckzukommen, wenn man zumindest soviel versteht, um sich nicht vollkommen bloed und beinahe ignorant gegenueber den Einheimischen vorzukommen. In den letzten Monaten habe ich gelernt, die richtige Entscheidung zu treffen, und deshalb waehle ich Variante zwei und stell mir meinen Wecker. Denn worauf es ankommt ist, dass ich trotz allem rechtzeitig zum Sonnenuntergangslicht vor der Kathedrale in Leon stehe, das Gefuehl habe, mehr erlebt zu haben als ich erwartete, und - beim zurueckdenken an den vergangenen Tag - nicht einen Moment finden kann, in dem ich nicht begeistert und erfuellt war, in dem ich mich nicht ueber das freue, was ich erleben darf, oder in dem ich mir wuenschen wuerde, irgendwo anders zu sein. Das, was Nicaragua, Laos oder Kanada in meinen Augen besonders macht, ihnen einen anderen Charakter verleiht als den grossen Bruedern, ist nichts bestimmtes. Es ist keine einzelne Attraktion, mehr die Atmosphaere. Vielleicht sogar einfach nur ein Sympathieprinzip, das sich alleine durch persoenliche Vorzuege, also Sympathie, und durch nichts anderes beschreiben laesst. Aussergewoehnliches findet man ueberall, und obwohl ich mir selbst immer wieder darueber bewusst werde, dass ich auch nur ein Tourist bin, finde ich mehr Gefallen daran, Kleinigkeiten herauszufordern und generell danach zu suchen, was andere gar nicht finden wollen. Neun verschiedene Lonely Planet Editionen habe ich auf dieser Reise verwendet, und auch wenn die meisten Fotos das zeigen werden, was man von ihnen erwartet, naemlich Sonnenuntergaenge, Denkmaeler, tropische Straende und Nationalparks, ist trotzdem das, was mich wirklich motiviert haelt, das, was mich nicht los und nachhause lassen will, etwas anderes, etwas scheinbar unbedeutenderes. Und dies sind die Kleinigkeiten, die ich in Nicaragua oder Laos haeufiger finde.
Dass ich in diesem Land nichteinmal eine ganze Woche bleibe beweist wieder einmal, dass der Genuss selbst groesser ist, wenn er zeitlich begrenzt ist. Natuerlich haette ich mehr davon, ein Monat oder ganzes Jahr hier zu bleiben, aber es war von Anfang an klar, dass ich - von all diesen Laendern - lediglich einen Eindruck und nicht eine Einsicht erhalte. Ein Trailer ueber den Weltepos sozusagen, ein endloser Film ueber das, was die Welt zu bieten hat, und die Menschen, die sie besiedeln. Nicaragua scheint mir eine diese Szenen zu sein, in der der Zuseher den Kern des Themas erfasst, in der sich die Geschichte entwickelt und neues offenbart, das man nicht erwartet haette. Vorgestern Abend war ich bei einer einheimischen Familie zum Essen eingeladen, versuchte mit Haenden und Fuessen (und einem gelegentlichen "muchos bonitos") zu erklaeren, dass es mir hier gefaellt (im Grunde versuche ich dasselbe mit diesem Eintrag), und wunderte mich einmal mehr ueber die Gastfreundschaft von Menschen, die mich nicht kennen, noch nie gesehen haben. Am naechsten Tag steige ich schon wieder auf einen Vulkan, doch zur Abwechslung fahre ich die Steinpiste mit einer Gruppe Englaender auf einem Holzbrett hinunter, die den Wettbewerb fuer die meisten offenen Wunden unter sich ausmachen. Zuviel geht in meinem Kopf vor, als dass ich in allem einen Sinn entdecke, oder ueberhaupt zu suchen beginne, jedem Erlebnis einen Nutzen zuordnen kann. Das einzige, was ich nur immer wieder wiederholen kann ist, dass es mir gut geht. Sehr gut.
m

Samstag, 27. Januar 2007

Ueber ein Ausstellungsstueck der Tourismusindustrie...

Costa Rica ist ein Ort fuer Menschen, die gerne im Regen durch den Wald spazieren gehen. Mir gefaellt es hier, so vieles erinnert an die wunderbare Umgebung in Laos, und doch ist die Atmosphaere ganz anders, die Mentalitaet der Menschen wieder eine neue. Mehr als jedes andere Land, in dem ich war, macht die Reiche Kueste den Eindruck, trotz ihrer natuerlichen Schoenheit nur fuer Menschen angelegt worden zu sein, die hierher kommen um etwas zu sehen, das sie daheim nicht sehen koennen. Dichtere Regenwaelder als die dichtesten in Malaysien, aktivere Vulkane als die aktivsten in Neuseeland, und mehr Leben in den Nationalparks als irgendwo anders auf der Welt. Ein perfektes Ausstellungsstueck fuer die neue Werbekampagne des Welttourismus in sich selbst, ein Prototyp von Natuerlichkeit, das voruebergehende Endprodukt geographisch geologischer Zusammenhaenge. Ja, nach sechs Monaten lernt man mit einem Ort umzugehen, in dem 90% der Bevoelkerung ihren Lebensunterhalt mit Tourismus verdienen, und wenn man die Ansammlung von amerikanischen Kurzurlaubern erst einmal verlassen hat, in einen Nationalpark verschwindet, sich wie ein Faultier tarnt und auf die Natur einlaesst, dann erlebt man Dinge, die selbst nach einer einhundertfuenfundachzigtaegigen Reizueberflutung noch aussergewoehnlich erscheinen. San Jose habe ich schnell verlassen, nach einer knochenaufreibenden (bei der Beinfreiheit woertlich gemeint) Busfahrt in La Fortuna angekommen, wo ein Vulkan am laufenden Band versucht, Touristen mit brennenden Steinen zu erschlagen (
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), dann per Boot weiter nach Monteverde, wo man in verschiedensten Wolkenwaeldern (klingt fuer mich irgendwie wie ein neuer Trendbegriff, hab ich naemlich noch nie gehoert, ergibt aber Sinn, wenn man erst einmal drinnen und drunter steht) festgebunden an einem Seil oder an einer Tarzanliane (
p1200237
) nach Schlangen, Froeschen und hauptsaechlich Voegeln suchen kann. Den Begriff ¨gruen¨ muss ich seit neuestem ueberdenken, da er so wie fuer die Eskimos ¨Schnee¨ einfach unzulaessig ist. Mir gehts gut, nachwievor sehr gut, und so schreibe ich mir ganz ohne Aufwand einen Ausdruck der Faszination ins Gesicht. Nach Menschen aus aller Welt bin ich nun endlich auch einmal mit einer Japanerin unterwegs, unglaublicherweise der weltweit einzigen ohne Kamera, die wurde ihr naemlich in Nicaragua gestohlen, und genau da fahre ich morgen hin. Was es wirklich heisst, in ¨Lateinamerika¨ zu sein, habe ich noch nicht ganz entdeckt. Die Menschen, das Gefuehl hier zu sein, die Umgebung... vieles ist noch einfach nur neu und zu wenig konkret, anders und unvergleichbar mit allem bekannten. Aber ich hab ja noch eine Weile in diesem Land, was mich sehr beruhigt, seitdem mein Herz irgendwie beginnt langsamer zu schlagen, da es innerlich ahnt, sich schon sehr bald wieder gewoehnlicheren Dingen zu widmen. Nicht gewoehnlichen, aber gewoehnlicheren als in letzter Zeit. Jetzt gehts wieder in den Wolken-, Nebel-, Regen- oder Wasauchimmerwald. Wenn ich diesen Ort einmal verstehe, dann kann ich mehr darueber schreiben. Das einzige, worueber ich mir im Moment aber vollkommen sicher bin ist, dass es mir hier gefaellt, dass Costa Rica in Sachen ¨Sehenswuerdigkeit¨ einen weiteren Meilenstein darstellt, ganz besonders wenn man gelernt hat, die Dinge so wahrzunehmen und zu schaetzen, wie sie sind.

Henry David Thoreau

I went to the woods because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.

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22. Februar!


p1140077

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