Dienstag, 14. November 2006

Ueber Joe, Imitatio Roostae und ein unmoralisches Angebot...

Zugegeben, das unmoralische Angebot, von dem ich spreche, ist in keiner Weise unmoralisch. Mir gefaellt nur die Wortkombination, und nun mal ehrlich, wie moralisch kann ein Angebot an einen am Strassenrand stehenden und Autos stoppenden Backpacker schon sein. Also der Deal war simpel: Ich helfe ihm einen Vormittag lang dabei, ein Flugzeug zu kaufen, es zu transportieren und in seinen ueberdimensionalen Gartenhaeuschenhangar zu laden, dafuer fliegt er mich am Abend mit seinem motorisierten Gleitdrachen ueber die Sandduenen, Schiffswracks und glasklaren Seen Frasier Islands. Bloede Geschichte, denke ich mir, stecke die linke Hand in die Hosentasche und ueberpruefe, ob der Pfefferspray noch da ist, wo er hingehoert, und steige ins Auto. Wenn man Autos stoppt, erwartet und erhofft man sich nichteinmal im hintersten Kaemmerchen der Kleinhirnanhangsdruese (sofern es eine solche gibt), ein Flugzeug zu bekommen, aber offensichtlich bin es wieder einmal ich, dem so etwas dann doch passiert. Und so flog ich, beinahe zwei Stunden, noch am selben Nachmittag zurueck zu dieser wunderbaren Insel, die von oben zwar unwirklicher, aber noch viel schoener erscheint. "Hier war ich schwimmen!", "Hier ist unser Auto im Sand gesteckt!", "Hier hab ich meine Flip Flops verloren!", ein Rueckblick aus der Vogelperspektive. Wie Hamlet sitzt man in einer Nussschale (denn viel groesser ist das Fluggestell nicht), und fuehlt sich trotzdem wie ein Koenig. Beim Rueckflug eilen wir einer Horde Kanguruhs im Tiefflug hinterher, und ich wundere mich erneut ueber die Absurditaet der Situation. Zurueck auf die Strasse, noch ein paar Kilometer weiter kommen, um am fruehen Morgen des naechsten Tages schnell weiter zu kommen. Wieder stehe ich vor der taeglichen Frage, wo ich ein paar Stunden Schlaf finde, auch wenn Schlafen in dieser Phase des Erlebens das letzte ist, zu dem ich motiviert bin. Ich frage Joe nach einem Caravanpark, Joe meint, ich soll mein Zelt in seinem Garten aufbauen. Joe ist laut g'schichtldruckerischer Selbstdefinition eine ehemalige Bikerlegende, stand fuer lange Zeit auf der Todesliste der Hells Angels und verbrachte drei Jahre im Gefaengnis, weil er Speed an seine Truckerfreunde verkauft hat. Joe ist ein cooler Typ, ich mag Joe, auch wenn auf seinem Boden aus Mahagoni ein rostiger, tropfender Kuehlschrank steht, auf dem eine Familienpackung Sedativa und ein unausgefuellter Arbeitslosengeldantrag liegen. Um sechs Uhr steh ich wieder auf der Strasse, es ist die beste Zeit um weite Strecken zurueckzulegen. Wenige Stunden spaeter stehle ich verzweifelten Eltern die Show, als ich im Australia Zoo mit meiner mittlerweile ausgearbeiteten balinesischen Gockelhahnmime den Tiergeraeuschimitationswettbewerb dominiere und ein privates Koalabaerfotoshooting fuer mich gewinne. Zwanzig Stunden Schlaf, vier Stunden Essen und sich zwischendurch paaren... das ist ein Leben, doch ich moechte im Moment nicht einmal mit einem Koala tauschen. Der Zoo ist grossartig, vorallem, weil man viele "Kaefige" von innen sieht, auch, wenn ich das Memorial fuer eine eben verstorbene, 160 Jahre alte Galapagos Riesenschildkroete um zwei Tage verpasst habe.
Abgestumpft durch die konsequent permanente Reizueberflutung finde ich mittlerweile Geschmaecker und Gerueche interessanter als visuelle Eindruecke. Die erste Beruehrung der Zunge mit einer bestimmten Sorte Orangensaft laesst mir einen Zeitpunkt und Abschnitt meines Lebens in Sekundenbruchteilen regelrecht durch die Gedanken fahren. Der Duft einer bestimmten Stadt erinnert mich an eine andere, am anderen Ende der Welt, zieht Querverbindungen zu dem, was ich bis zu diesem Tag erlebt habe. Ich versuche diese Spinnennetze in Worte zu fassen, und tue das seit neuestem auch fuer ein Australisches Reisemagazin. Same same, but different. Heute ist Dienstag, und obwohl der Name eines jeden Wochentags in den letzten Monaten auf Reise beinahe gaenzlich an Bedeutung verloren hat, fuehlt es sich irgendwie so an. Ich denke mir immer wieder, dass meine zweite Studienrichtung vielleicht nicht ganz zwecklos ist. Es ist ueber die letzten Wochen beinahe zum Genuss geworden, verschiedene Dialekte und Akzente zu hoeren und zu bestimmen zu versuchen. Ein Wort, das schon von 200 Metern gegen den Wind erahnen laesst, dass sein Redner aus Irland kommen muss; das deutsch-englische W, das alleine beim Ablesen der Lippenbewegung auf den Magen geht; der kleine, aber feine Unterschied zwischen Amerikanern und Kanadiern. Ich bin fasziniert von Sprache, was Sprache bewirken kann und wie wichtig die Rolle der Art und Weise ist, eine Frage zu stellen. Alles ist moeglich, wenn man nur danach fragt, und es richtig tut.
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Henry David Thoreau

I went to the woods because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.

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22. Februar!


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Online seit 6898 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 12. Dez, 15:54

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