Sonntag, 24. Dezember 2006

Ueber Eremiten, Vanillekipferl, Earl Grey und die Unvermeidlichkeit bunter Gluehbirnen...

25. Dezember, nach Mitternacht. Weihnachten ist theoretisch vorbei, steht praktisch aber noch bevor, da die Menschen hier am falschen Tag feiern und ihr zwoelf Stunden hinten seid. Also schreibe ich aus einem Zeitloch, und das kommt mir nicht zum ersten mal auf dieser Reise so vor.
Da ich nach dem letzten Eintrag Anschuldigungen zum praedestinierten Eremiten(leben) ueber mich ergehen lassen musste beruhige ich erst einmal und gebe stolz bekannt, nunmehr ueber eine Woche quasi im Rudel mit einer ganz ganz netten und insbesondere gastfreundlichen Kiwi-Familie gelebt zu haben. Keine Vulkane, keine ungewollten Leichtsinnigkeitsattentate auf mich selbst. Gelegentlich eine Rechtfertigung ueber Dinge, die ich scheinbar im Schlaf erzaehle, aber sonst ein ruhiges Leben. Vanillekipferl backen ("Yes, that's what Sissi might have eaten for Christmas"), ab und zu den Zug in die Stadt nehmen und immer, immer wieder dieses genussvolle unter die Decke kriechen in mein weiches, warmes, grosses Bett. Noch zwei Naechte, dann bin ich wieder auf der Strasse. Wie brutal das im Deutschen klingt. Aber egal. Die letzten Tage waren einfach dazu da und dazu gut, "mal wieder runterzukommen". Ich sehne mich nachwievor nach einem weissen Raum ohne Tuer und ohne Fenster, in dem ich eine Zeit lang nichts tue, ausser alle Reize zu entfluten. Aber selbst wenn man nichts tut arbeitet man all die Dinge auf, die mittlerweile als vergangen gelten und findet sich selbst dabei, mehr zu tun, als man eigentlich moechte, und weniger von dem zu aufzuarbeiten, was nach wie vor auf der Reflexions To-Do Liste steht.
Fuer all die Leute, die beim Fussball schon an der Abseitsregel scheitern, kann ich Cricket staerkstens empfehlen. Keine Ahnung, keinen Plan, aber das geb' ich mir, sag ich mir, und lese meinem achtjaehrigen Sitznachbarn an den Augen ab, dass er mir an den Augenbrauen abliest, wie wenig ich verstehe. Ich erwarte mir eine Ansammlung fortgeschrittener Windsor-Traditionalisten, die sich mit selbstmitgebrachtem Earl Grey aus der Thermoskanne ueber fuenf Spieltage am Leben haelt. Nichts da, die Jugend weht die Schwarzen Flaggen und jubelt den Spielern zu, die nach einem Out zu Monty Python Klaengen das Feld verlassen. Ich kehre wieder nach Upper Hut zurueck, ein, zwei Weihnachtsgeschenke mehr in der Tasche. Dieser Tag kommt immer naeher, aber wannauchimmer die Sonne scheint und der Typ im Nachbargarten seinen Rasenmaeher startet kommt es mir nicht wie Dezember vor. Troztem singt man hier "Snow ist falling all around me" und setzt sich rote Muetzen auf. Beim "Gloria" ernenne ich mich zum persoenlichen Verteidiger des "Excelsis" gegen das "X-Tschaelsis" und beim "Silent Night" singe ich die deutschen Worte. Als ob das noch nicht genug Aufmerksamkeit erregt verdiene ich mir zusaetzlich zwei Dollar damit, auf der Ukulele zu begleiten, die ich mir eigens zu Rehabilitationszwecken fuer die Fijis zugelegt habe. Wo sonst werde ich das endlich lernen, und da die Chorde zu diversen Weihnachtsliedern hundert mal einfacher sind als die zu "Blowing in the Wind", kann ich auch jetzt schon ueben. Wenn dann noch Zeit bleibt, fahre ich diverse Privathaeuser ab, die mit ihren bunten Beleuchtungen zu lokalen Hauptattracktionen werden, und wenn man lieb und nett ist, darf man sogar das Wohnzimmer sehen. Ich habs nur in ein einziges geschafft, aber schliesslich bin ich ja auch Eremit. Es ist sowieso nur eine Frage der Zeit, bis sich little old Europe auch dahin entwickelt, Leuchtstoffroehrenrentiere im Vorgarten aufzustellen, wenn moeglich bunt und blinkend. Ich kann nicht sagen, dass ich alle Traditionen mit einem traenenden Auge vermisse, aber ich kann sicherlich behaupten, froh zu sein, zu gewissen wieder zurueckkehren zu koennen. Ausgenommen ich gehe als Eremit in die Wueste, wandere nach Laos aus oder ziehe ins Weihnachtsexil. Drei Stunden Herr der Ringe gingen sich dann in der letzten Woche auch noch aus, und zwar aus dem Premierensessel Grimas, da Gandalf und die restlichen Gefaehrten schon besetzt waren, woertlich. Die letzten Tage waren im Vergleich zum Rest dieser Reise so unglaublich normal, mit einer gewissen Ordnung. Aber auch so vollkommen unterschiedlich zu dem, was ich fuer diese Jahreszeit normalerweise als normal bezeichne. An einem Ort, wo der Sueden die Bedeutung unseres Nordens hat wird sogar die Normalheit relativ, und was ich denke, sowieso.
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Henry David Thoreau

I went to the woods because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.

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22. Februar!


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Zuletzt aktualisiert: 12. Dez, 15:54

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