Mittwoch, 25. Oktober 2006

Thorny Devil, Redback Spider & Inland Taipan

oder
auf der vergeblichen Suche nach einer wuerdigen Narbe

Wiedereinmal habe ich mich in den letzten Tagen ein paar Schritte und Kilometer weiter von Wien, zuhause, und all dem, was ich vor 90 Tagen noch "Alltag" nannte entfernt. Picasso malt gerade gegen die Zeit und ich versuche mich darauf einzustellen, dass das Leben hier länger dauert. Danke Anja.
Perth. Vieles an dieser Stadt erinnert mich an Vancouver vor vier Jahren. Die Menschen, die Lage, die Strassen, das Klima, die Gebaeude; einfach das Gefuehl, hier zu sein, mich hier aufzuhalten. Perth ist eine wunderbare Stadt... nicht nur modern, sondern vielmehr "neu", sauber, freundlich, hell, an der Kueste gelegen und trotzdem der Wueste nahe; gross genug, um alles moegliche und wuenschenswerte zu bieten, und doch uebersichtlich, ueberschaubar.
Die letzten drei Wochen stellten zu meinen ueblichen Reisegewohnheiten, wenn ich sie nach drei Monaten ueberhaupt schon als solche bezeichnen kann, einen gewissen Kontrast dar. Reist man alleine, also nur im Sinne von gelegentlich gemeinsam, nimmt man all das, was man sieht und erlebt, viel bewusster und fuer sich selbst wahr. Als Teil einer Gruppe, als Teil einer geplanten Tour, wird das Reisen viel mehr zum realen Fernsehen. Man laesst sich berieseln, man laesst sich erleben lassen. Man wird passiv, auch wenn man aktiver tut, was man als aktiver nur passiv erleben kann. Klingt komisch, ist aber so. Es geht nicht mehr darum, seinen eigenen Weg, seine eigene Route, seine eigene Reise zu finden, sondern vielmehr darum, alles zu sehen, was in einer gewissen Zeit an einem gewissen Ort moeglich ist. Vorgestern habe ich einen Monatskalender mit Bildern der Westkueste Australiens durchgeblaettert, und bis auf Maerz, Juni und September hab ich nun alles selbst gesehen, in echt quasi, und ein oder hundert Fotos davon gemacht. Und trotzdem faellt es mir schwer, mich an die Namen der einzelnen Schluchten zu erinnern, in denen ich geklettert, geschwommen und gestolpert bin, oder in der Nacht mit den Ohren unter Wasser die hellsten Sternschnuppen beobachtet habe, um den Rest der Gruppe zu ignorieren. Und trotzdem hat das ganze auch Vorteile... wie gesagt, die Effektivitaet einen Ort in begrenzter Zeit bis in den letzten Winkel (und Outback Australien hat viele Winkel) zu erkunden uebertrifft sogar Malaysien, und nicht zuletzt lernt man Menschen, Freunde, mit denen man 6000 Kilometer in einem Bus sitzt, oft besser kennen als solche, mit denen man acht Jahre ein Klassenzimmer teilt. Den Westen Australiens auf diese Weise zu bereisen war sicher eine gute Entscheidung, habe ich doch zumindest zwei Menschen getroffen, von denen ich es bereuen werde, sie womoeglich nie wieder zu sehen, und in Schluchten geschwommen, Bushcamps geschlafen und meine Reisemotto in einen Baum geritzt, die ich sonst - alleine - wahrscheinlich nie erreicht haette. Die Bedeutung dieser Reise wird mir jetzt, wo ich mich schoen langsam der Halbzeit naehere, immer mehr bewusst, und deshalb hab ich mich in den letzten Wochen auf die Suche nach einem wuerdigen Andenken gemacht. Die symbolische Bedeutung, der mythologische Hintergrund und die Aesthetik in der Erscheinung und Bewegung von Schlangen hat mich immer schon fasziniert, und was wuerde sich als sichtbar gemachte Erinnerung besser eignen als zwei wizige rote Narben. Man mag vielleicht denken, dass man in Australien an nichts leichter gelangen koennte als einen Schlangenbiss, doch ganz so einfach ist das nicht, stellt sich doch jede vermeintliche Sichtung als just another bloody Gecko heraus. Und sollte es sich dann doch einmal um eine harmlose Blindschleiche handeln, hat sie sich schneller verzogen als man selbst seine Kamera. Mit der reichlichen Auswahl an der Australischen Tierpalette hab ich mich dann quasi auch durch das gesamte Programm durchprobiert, doch alles war vergeblich. Eine Redback Spider im Makromodus fotografiert, als Stalker einen zwei Meter Riffhai eine halbe Stunde lang verfolgt, sich ins Licht eines sich sonnenden Thorny Devils gestellt und von Poison Risk Areas und Cliff Risk Areas ueber Hot Water Risk Areas bis Loose Rocks Risk Areas (Bush seems to be one big Risk) alles durchwandert. Nichts. Die einzigen Narben, wenn man sie als solche zaehlt, sind blaue Augen, die man sich selbst zufuegt bei deim Versuch, sich laestige Fliegen aus dem Gesicht zu schlagen.
Um die Ereignisse der letzten Tage zusammenzufassen ist weder Zeit noch Speicherplatz, auf jeden Fall weiss ich jetzt, dass das Wort "Schlucht" mehrere Bedeutungen haben kann und die Great Sandy Desert gar nicht so sandy ist. Aber dafuer sehr great. Tauchen war ich auch wieder, und Schnorcheln (kenne die Stalking Gesetze in Australien nicht, auch Schildkroeten eignen sich perfekt dazu). Irgendwie ist es traurig zu sehen, wie absehbar das Ende dieser wunderbaren Riffe ist. Touristen kommen in Bussen, stranden wie tollpatschige Walhaie im seichten Wasser, beschweren sich beim "verantwortungslosen" Tourguide ueber zerschnittene Oberschenkel und sind sich gar nicht bewusst, was sie mit ihren amerikanischen Hueften eigentlich niedergerissen haben.
Australien scheint mir nach wie vor ein Land zu sein, in dem ich laenger bleiben koennte, auch wenn mir der Dienstag und Mittwoch Special Discount fuer Pensionisten in Liquor Stores reichlich unfair erscheint. Dass es keinen Kinder- oder Jugendrabatt gibt seh ich ja noch ein, aber zumindest Studenten oder Backpacker sollten ihre eigenen reduzierten Tage haben. Nach daheim sehne ich mich im Moment noch nicht, immerhin befinde ich mich auch noch am Weg weg ans andere Ende der Welt und der Begriff "Heimweh" kommt mir - so wie "Eifersucht", "Liebe" oder andere Gefuehle - ueberhaupt ueberbewertet vor. Fuer mich ist die Essenz des Reisens das Gefuehl, jeden Moment euphorisch und aufgeregt auszukosten, die Zeit zu dehnen, geniessen und zu nutzen, bis man irgendwann gegen Ende dieser begrenzten Zeitspanne ohnehin den Eindruck bekommt, nicht fuer immer hier bleiben zu wollen und froh ist - ein wenig groesser - zu dem zurueckzukehren, was man als sein Leben bezeichnet.
Bis morgen werde ich noch reichlich Stickstoff vom Tauchen abbauen um sicher nach Alice Springs fliegen zu koennen, von wo ich drei Tage lang - wieder und zum letzten Mal - in einer Gruppe ein paar Fotos vom Ayers Rock machen werde, bis ich an der Westkueste endlich wieder meinen eigenen Weg finde.
m

Henry David Thoreau

I went to the woods because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.

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