Dienstag, 23. Januar 2007

Von einer Erinnerung...

Ich habe im Laufe der letzten 180 Tage immer zu mir selbst gesagt, dass es auf dieser Reise kein Highlight irgend einer Art gibt, geben kann. Keinen Hoehepunkt, kein physisches Ziel, nur einen Weg. Das denke ich nochimmer, und doch gibt es da Punkte, die ich immer nochmehr und nochmehr schaetzen moechte als mit dem ueblichen Grad von Wertschaetzung und Respekt gegenueber all den Orten, die ich besuche. Ein Fluss in Laos, eine Wolke in Kambodscha, ein Riff oder ein Wrack in Australien, ein Moment in Neuseeland. Einfach ein Befinden, ein Gefuehl, hier zu sein, das sich noch einmal von all dem abhebt, was ohnehin schon den Begriff “aussergewoehnlich” verdient. Nach einem halben Jahr unterwegs denkt man, einen Status erreicht zu haben, in dem man alle Gedanken zum Sein, hier Sein und unterwegs Sein schon einmal irgendwo gedacht hat. Eine Praxis entwickelt, ein Kontingent von Gefuehlen und Stimmungen, die entweder in die malerische Sonnenuntergangsumgebung, den Moment des kulturellen Schocks, den Akt, etwas besonderes zu tun oder jegliche andere Situation hineingesetzt, angewertet, bestaetigt und festgehalten werden koennen. Doch immernoch entdecke ich neue Ueberwaeltigungen, neue Gedankenstroeme, die mich in sich selbst treffen und aufs neue ueberraschen. In den letzten Tagen – sie erscheinen mir so kurz, dass ich im Grunde den Begriff “Stunden” verwenden sollte – habe ich wieder eine solche Ueberwaeltigung erlebt. Mit allem, was dazu gehoert, und laenger, als sie fuer gewoehnlich anhaelt. Wieder ist da etwas, das mich an diesem Ort festhaelt, mich nicht gehen lassen will, oder eher schon dazu draengt hierher zurueckzukehren, obwohl ich eigentlich noch da bin. Wie damals, wie vor fuenf Jahren. Hier, wo alles irgendwie begann. Was, weiss ich nicht, aber wahrscheinlich das, was ich glaube heute sein zu wollen, und zu sein versuche. Wenn ich ein gutes Theaterstueck, oder einen Film, sehe, dann ist nach dem ersten Vorhang schon das Beduerfnis da, das ganze nocheinmal zu sehen, zu erleben. Aus einem anderen Sitz, einer anderen Perspektive, vielleicht um eine neue Improvisation und Tagesverfassung der Schauspieler zu erkennen, vielleicht um einen einzigen Moment nocheinmal zu spueren, auch wenn man weiss, dass er in seiner Einzigartigkeit wahrscheinlich kaum wiederholbar ist. Ich dachte mir schon oft, dass es sich mit dem Reisen aehnlich verhaelt, und fuehlte oder wuenschte mir bis jetzt noch in jedem Land, dass es nicht das letze Mal ist, in meinen Reisepass diesen einen unverwechselbaren Stempel mit Aussicht auf Abenteuer und Erfahrung zu bekommen. Anwenden konnte ich dieses Gefuehl, erfuellen diesen Wunsch, jetzt allerdings noch nicht (neue Geschaeftsidee fuer Reisebueros: 720 Grad Round The World Tickets), und so blieb jedes Land bis zu diesem Wochenende eine Premiere. Und dann komme ich hierher. Hierher zurueck. Zu allererst rieche ich, was ich schon kenne, noch bevor meine Augen ueberhaupt adaptieren, was sie schon einmal aufnahmen. Langsam aber stetig kommt alles zurueck. Nach so langer Zeit, nach allem, was dazwischen lag, nach allem, was die direkten Bahnen zu dem, was ich damals erlebte und genauso enthusiastisch wie heute aufsammelte, blockierte. Aber es ist noch da, irgendwo versteckt oder einfach nur verschluesselt, denn alles, was wertvoll ist, muss irgendwie geschuetzt aufbewahrt werden. “Offensichtlich” stellt sich selten als “Wertvoll” heraus. Da bin ich, wieder, aelter, aber immer noch derselbe Mensch. Der Mensch, der ich bin, und nicht waere, wenn ich nicht zu dieser Zeit an diesem Ort dazu geworden waere. Whatever. Morgen frueh bin ich in Costa Rica, und lasse Kanada und einen oder einige sehr gute Freunde zurueck, lasse alles wieder ruhen, sich niederlassen und verstecken, mit dem Willen, sobald wie moeglich wieder hierher zurueckzukehren um es aufs neue zu entdecken. Ueber den Begriff Ursprung und seinen gedanklichen Unterton habe ich in letzter Zeit viel nachgedacht, und wenn es einen Ursprung anders als den eigentlichen Ursprung gibt, dann ist es dieser Ort und das, was ich damit verbinde.
Gedankenexhibitionist, warum schreib ich das eigentlich alles. Geplant war ein Bericht ueber San Francisco, wie ich im Cable Car hin und her fahre, ganz einfach, weil es mir gefaellt, wie ich in Alcatraz Sonnenuntergaenge hinter der Golden Gate Bridge fotografiere, wie ich am Flughafen irgendwo zwischen Starbucks und McDonalds um sechs in der Frueh meinen Rucksack naehe und mir wuensche, in der Schule textiles Werken gewaehlt zu haben, waehrend die Sicherheitsbeamten wie Marktschreier am Hamburger Fischmarkt die ganze Bevoelkerung dazu aufrufen, sich die Schuhe auszuziehen, wie ich die Couch einer San Francisco Konservatorium Studenten WG surfe, die amerikanische Gastfreundschaft wie die einer jeden anderen Nation zu schaetzen lerne, und dem Chellisten dabei zusehe, wie er auf meiner Ukulele den Walzer aus der Fledermaus vom Blatt spielt, waehrend ich zwei Wochen mit den vier Akkorden von “Can’t Help Falling in Love” kaempfe, wie ich von einem Bus in den naechsten steige, mich von der Zollbeamtin fragen lasse, ob “Salzburg” mein Familienname ist und anderen zum wiederholten Mal versichere, dass es in meinem Land keine Kaenguruhs gibt. Ueber Seattle und Vancouver haengt die dickste Wolkendecke, durch die ich jemals geflogen bin, sodass um 12.30 Uhr Mittags Weltuntergangsstimmung aufkommt. Dreiunddreisig Tage noch, Zweiunddreisig Tage noch, Einunddreisig Tage noch zaehlt mein Kopf den depressiven Countdown, und freut sich trotzdem noch so sehr auf jeden einzelnen. Nachwievor gibt es soviele Dinge die ich noch nicht erlebt, noch nicht gesehen, noch nicht gespuert habe, und mit jedem Land, dessen Grenzen ich ueberquere, fuege ich mindestens zwei andere zu der Liste derer hinzu, die mir in Planung und ganz bestimmt in der Motivation noch bevor stehen. Die Dichte, die Kompression erreicht einen neuen Grad von Enge, wird zu einer Ansammlung von Masse, die wie ein schwarzes Loch oder eine Lawine alles verschlingt, das im, oder in meinem Falle am, Weg liegt. Appropros Lawine. Vor elf Tagen war ich auf einer suedpazifischen Insel, gestern wandere ich mit Schneeschuhen bei 30 cm Neuschnee den Mt. Seymour hinauf, um ihn schlussendlich in einer kleineren Lawine wieder hinunterzu… aehm… rutschen. Einen dieser Momente, den man nicht unbedingt nocheinmal erleben moechte, aber wenn man dann von einem Wald aufgefangen zum Stillstand kommt, froh darueber ist, dass ihn ein anderer gefilmt hat. Ich dachte immer, dass es die Konservierung von Erinnerungen ist, die zaehlt und einen davor bewahrt, alles zu verlieren, wenn man auf sich selbst und die Staerke seines Gedaechtnis nicht mehr zaehlen kann. Nach den letzten Stunden in Vancouver komme ich zurueck zum Ursprung, zum Vertrauen an die Erinnerung selbst, und stelle fest, dass der Akt, sich an etwas zu erinnern, dass man vergessen glaubte, staerker, wahrer und schoener ist, als ein Foto oder Tagebucheintrag, die wunderbare Hilfsmittel, aber leider auch nur ein zweidimensionaler Abdruck des Eigentlichen, des Wesentlichen sind.

Henry David Thoreau

I went to the woods because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived.

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