Seit ich vor 24 Stunden vom sandigen Australien ueber (Eis)Berge, Ozean und Wolken ins kuehl fruehlingsbeginnhafte Neuseeland flog begann ich das erste Mal eine Art Eigenartigkeit zu fuehlen, wie sie mir auf dieser Reise noch nicht begegnet ist. Irgendwie empfand ich, zu frueh hier zu sein. Kein Reisefueher in der Tasche (dafuer Mark Twain), keinen Plan, wie ich mich hier fortbewege, wo ich eigentlich hin will. Nur die Vorgabe, in drei Tagen 900 km weiter suedlich sein zu muessen. Autostoppen? Hm, sicher eine Moeglichkeit, aber irgendwie war mir nicht danach. Busse? Nein, die fahren hier nur gegen den Uhrzeigersinn. Ein Auto muss her, mindestens eins, war der (letzte) Entschluss, den ich gemeinsam mit meinem Bruder und dem oberoesterreichischen Empfangskommitee vom Flughafen gefasst hatte, und so war der erste Weg nach Baggage Claim nicht ein Hostel, sondern ein Backpacker Autobazar. Vier Blicke, acht Telefonanrufe, drei geworfene Muenzen und eine "drueber schlafen muessen" Nacht steh ich nun da, mit meinem ersten eigenen Auto, einem nigelnagelneuen 1989er Toyota Corolla, obwohl ich mir nichteinmal sicher bin, wie man das schreibt. Der Hauptgrund, warum ich diesen Wagen einfach haben musste, ist, dass ich mich schon jetzt darauf freue, ihn zu einem kleinen Wuerfel stampfen zu lassen, wenn sich andere Backpacker zu gut dafuer fuehlen. Das waeren die nichteinmal 250 Euro wert. Ach ja, und eventuell begleitet er mich auch auf den nach Australien laecherlich erscheinenden Distanzen hier. Ob die Entscheidung weise war, weiss ich nicht, aber da ich mir in meinem Alter weder Weisheit anmassen moechte, noch mich dazu genoetigt fuehle, sie als Ersatz fuer andere Tugenden mein Eigen nennen zu muessen, bleib ich vorerst leichtsinnig, wie es mir rangmaessig zusteht, wenn auch ueberlegt leichtsinnig. Immer wieder trifft man Entscheidungen, die sich im Nachhinein als entweder brilliant oder aber fatal herausstellen koennen. Ich hoffe auf das erste, und ausser hoffen werde ich mein bestes und ueberlegtestes dafuer tun, es zu einer solchen zu machen. Von Christchurch selbst habe ich ausser Automaerkten noch wenig gesehen, und irgendetwas zieht mich weg aus dieser Stadt, nicht nur die Zeit. Wirklich wohl fuehle ich mich in Neuseeland nach einem Tag noch nicht, und trotzdem gibt es da nicht einen einzigen Moment, in dem ich ein grosses, tiefes Loch graben will um jetzt schon nach Wien zurueckzukehren. Nein, es zieht mich woanders hin, und auch wenn ich nicht weiss in welche Richtung, begebe ich mich heute Abend auf die letzte Etappe, die mich noch wenige hundert Kilometer weiter von diesem fernen Ort, den ich daheim nenne, fortfuehrt, bevor es wieder noerdlich und umkehrend oestlich geht. Und zwar mit meinem eigenen Auto. Ich weiss nicht, warum ich das wollte, aber irgendwie fuehlte es sich richtig an, wenn auch eigenartig.
snake.gg - 22. Nov, 03:09
Ist das nicht eigenartig, wenn man in eine neue, weit entfernte Stadt kommt, und sich nach wenigen Stunden wie zuhause fuehlt. Man glaubt, jeden Teil, jede Strasse, jeden Ausblick schon zu kennen, schon einmal gesehen zu haben und irgendwie da gewesen zu sein. Man navigiert instinktiv und nach Gefuehl, man sucht einen Ort nicht auf der Karte, sondern geht einfach, fuehlt sich wohl und kommt eventuell dort an. Nach dem ersten Latte Macchiato nennt man einen Ort sein Stammcafe, kehrt hierher zurueck und liest ein Buch. Meine Zeit in dieser Stadt ist auf ein irrwitziges Minimal von heuchlerischen drei Tagen begrenzt, trotzdem fuehle ich mich, wie wenn ich schon immer hier bin. Dass ich mein Zimmer mit fuenf anderen Menschen teile spielt keine Rolle, fuer diesen Begriff von Zuhause, den ich meine, ist ein eigenes Daheim nicht entscheidend. Ein Daheim ist, so wie der Spargel, wurde mir gesagt, ohnehin in der Idee und im gedanklichen Wert viel entscheidender und wichtiger als in der tatsaechlichen Ausfuehrung. Ich fuehle mich wohl dabei fuer eine begrenzte Zeit einen Rucksack als meinen einzigen Bezugspunkt und staendigen Begleiter zu erklaeren. Wie an alles gewoehnt man sich daran, beginnt damit zu leben. Immer wieder dieser grossartige Moment, all seine Sachen zu packen und ein Zimmer, eine Strasse, eine Stadt, ein Land oder gar einen Kontinent fuer einen anderen zu verlassen. Jeder Handgriff sitzt mittlerweile perfekt, wie in einem dreidimensionalen Gedankenhologramm kann ich mir zu jedem Zeitpunkt vorstellen und weiss genau, an welcher Stelle sich meine Zahnbuerste, mein Taschenmesser oder das letzte saubere Paar Socken befindet. Nur der ordnungsliebende Kragen meines neuen und mit Shostakovich eingeweihten Hemdes hat sich noch nicht an das geordnete Chaos meines Lebenspartners gewoehnt. Wird er aber, frueher oder spaeter.
Gerade eben habe ich mit jemandem geredet, den ich in Malaysien kennen und schaetzen gelernt habe. Sie ist wieder daheim, wohnt das erste mal seit 7 Jahren wieder mit ihren Eltern und versucht sich daran zu gewoehnen, dass sie sich geaendert hat, nicht aber die Welt, aus der sie entstammt. Schon einmal habe ich diese eigenartige Distanz erfahren und frage mich, wie es diesmal sein wird, in ein tatsaechliches Zuhause zurueckzukehren. In Sydney spielen sie die Geschichten aus dem Wienerwald und ich tausche meinen Australien Reisefuehrer fuer ein Mark Twain Buch. The Innocents Abroad, wiegt weniger und passt besser in meinen Rucksack. In solchen Kategorien denkt man, ganz abgesehen von dem gedanklichen Wert, der den eines Austalien Lonely Planets in Neuseeland bei weitem uebersteigt. Auch wenn ich meinen Flug morgen frueh ganz sicher wahrnehme, koennte ich mir vorstellen, fuer laenger oder sehr viel laenger hier zu bleiben, auch wenn glaenzend weisse Segel das Neorenaissance Gebaeude am Ring nie ersetzen werden koennen und ich mir die Tales from the Vienna Woods dann doch lieber auf deutsch ansehe. Sydney ist grossartig, und in den letzten Tagen bin ich aus dem Staunen kaum herausgekommen. Wie unter undefinierbarem Dopingeinfluss laufe ich getrieben von der Konsumgier meiner Augen sechzehn Stunden am Tag durch die Stadt. Da gehen sich durchschnittlich drei Hochzeiten, zwei Werbespotdrehs, ein Museum, zweieinhalb Gratiskonzerte, drei Treffen mit Backpackern, die man schon in einem anderen Land dieser Welt gesehen hat, ein Latte Macchiato im Stammcafe und mindestens zehn andere Ereignisse pro Tag aus, die es wert sind, sich ein Leben lang daran zu erinnern. Und immer wieder kehrt man zu diesem Postkarten Ikon und Desktophintergrundbild zurueck, dem Hafen, wo in Sydney alles zusammen- und hinlaeuft.
snake.gg - 20. Nov, 06:42
snake.gg - 20. Nov, 01:02
Byron Bay, ein Surfers Paradise in der Naehe des namensunwuerdigen Surfers Paradise suedlich von Brisbane und gleichzeitig zentrale Hippieregion Australiens, wo Jesus am Strand liegt (wenn er nicht gerade am Mount Jerusalem in grossen schwarzen Lettern "Make Love not War" auf seinen pinken Gartenzaun streicht) und man das Hostelzimmer mit Menschen teilt, die am Strassenrand Ringe aus Sandelholz verkaufen. Sympathisch vom Stadtbild, aber die Leute sind mir dann doch ein wenig zu strange, besonders wenn sie mich an der Schulter fassen und mir mit weit aufgerissenen Augen "Twinniiiiiieeee" ins Gesicht schreien, mit einem Unterton, der nur ahnen laesst, dass ich die naechste Nacht auf mysterioese Art und Weise nicht ueberleben werde. Eventuell tat ich das dann doch, auch wenn die letzten Tage noch immer sehr traeumerisch und vertraeumt erscheinen, und deshalb esse ich zum Fruehstueck ein griechisches Joghurt der Marke Attitude. Wie absurd diese Welt ist. Abendessen gibts bei den Seventh-Day-Adventists, gemeinsam mit Japanischen Touristen und Solchen, die in den Sechzigern steckengeblieben sind und, zugegeben stolz, Bananenbaeume ihr Zuhause nennen. Im Zentrum von Byron Bay steht der Strand und die damit verbundene Surfer Natur, die Bali nur allzusehr aehnelt. Sogar die Preise sind die selben, mal abgesehen von der Waehrung. Leuchttuerme am oestlichsten Punkt des Kontinents, Delfine und Nachzuegler-Wale am Horizont. Je suedlicher ich komme, desto kaelter und geistlicher wird es. In Brisbane konnte ich dem Schild "Curious about yourself?" aus Respekt vor Tom Cruise und John Travolta noch widerstehen, Tarotlegen in Nimbin war mir ganz einfach zu teuer, aber nachdem mir ein selbsternannter Zeuge heute um 6.20 Uhr erklaeren wollte, dass die Welt sehr bald ihr Ende finden wuerde, konnte ich der Diskussion, dass ich dafuer noch viel zu viel vor haette, nicht widerstehen. Ich bin doch gerade erst aus dem Nachtbus ausgestiegen und wollte zumindestens noch das Opernhaus sehen, erklaere ich ihm. Im Paradies spielen Plaene ueber das weltliche Leiden keine Rolle, meint er. Ich befinde mich aber ganz offensichtlich schon in einer Art Paradies und plane alles andere als zu leiden, meine ich. Gut, ich lasse mir eine Broschuere mit vanillefarbenem Himmel und einer strahlenden Familie beim Picknick im Park (-aradies) in die Hand druecken, er verspricht mir darueber nachzudenken, nach Europa zu reisen und die Hoffnung an diese Welt nicht vollkommen aufzugeben.
Nun bin ich also hier, stehe vor einem Gebaeude, das ich schon hundert mal gesehen habe, und doch sieht es irgendwie anders aus. Die Touristenkonkurrenz schlaeft noch, es ist gerade erst sieben. Ich sitze vollkommen alleine auf einer riesigen Steintreppe unter der Oper und fruehstuecke die restliche Packung Chips vom Vortag. Gelegentlich passieren mich fruehmorgentliche Jogger, bis diese dann langsam aber doch sicher von den ueblichen Besetzern dieses Ortes abgeloest werden, die wie die Hunnen in "Mulan" am Horizont erscheinen. Y, er, san, cheeeeese. Soweit reicht mein Mandarin noch aus um zu begreifen, dass ich mich verziehen sollte, wenn ich mit meiner langen Nase nicht zentralasiatische Digitalfotos schmuecken moechte. Apropros Schmuecken. Wieso faellt mir das eigentlich daheim nie auf, wenn die Weihnachtsbeleuchtung montiert wird? Vielleicht traegt auch das einfach nur zu meinem an die Absurditaet verlorenen Weltbild bei, wenn in ganz Australien Schneeflocken und Schlitten aus Gluehbirnen montiert werden und Kaenguruhs, Emus und Wombats in Schaufenstern die Krippengeschichte nachstellen. Und dazwischen weitere Zeugen, die, diesmal berechtigt, das nahe Ende der Welt prophezeihen. Zeuge ist auch meine Kamera, die all das ins Detail dokumentiert.
Nach der letzten Woche weiss ich nicht mehr genau, an was ich eigentlich glaube, oder umgekehrt, vielleicht weiss ich jetzt noch viel genauer, an was ich eigentlich glaube. Bei all dem Chaos denke ich immer noch an eine gewisse Ordnung, und ein grosser Teil davon ist heute Abend wieder hergestellt, wenn ich nach fast schon kriminell erscheinendem Kulturentzug fuer vier Monate in das ueberdimensionale Segelboot steige. Und dafuer geh' ich mir jetzt ein Hemd kaufen.
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snake.gg - 16. Nov, 23:46
Zugegeben, das unmoralische Angebot, von dem ich spreche, ist in keiner Weise unmoralisch. Mir gefaellt nur die Wortkombination, und nun mal ehrlich, wie moralisch kann ein Angebot an einen am Strassenrand stehenden und Autos stoppenden Backpacker schon sein. Also der Deal war simpel: Ich helfe ihm einen Vormittag lang dabei, ein Flugzeug zu kaufen, es zu transportieren und in seinen ueberdimensionalen Gartenhaeuschenhangar zu laden, dafuer fliegt er mich am Abend mit seinem motorisierten Gleitdrachen ueber die Sandduenen, Schiffswracks und glasklaren Seen Frasier Islands. Bloede Geschichte, denke ich mir, stecke die linke Hand in die Hosentasche und ueberpruefe, ob der Pfefferspray noch da ist, wo er hingehoert, und steige ins Auto. Wenn man Autos stoppt, erwartet und erhofft man sich nichteinmal im hintersten Kaemmerchen der Kleinhirnanhangsdruese (sofern es eine solche gibt), ein Flugzeug zu bekommen, aber offensichtlich bin es wieder einmal ich, dem so etwas dann doch passiert. Und so flog ich, beinahe zwei Stunden, noch am selben Nachmittag zurueck zu dieser wunderbaren Insel, die von oben zwar unwirklicher, aber noch viel schoener erscheint. "Hier war ich schwimmen!", "Hier ist unser Auto im Sand gesteckt!", "Hier hab ich meine Flip Flops verloren!", ein Rueckblick aus der Vogelperspektive. Wie Hamlet sitzt man in einer Nussschale (denn viel groesser ist das Fluggestell nicht), und fuehlt sich trotzdem wie ein Koenig. Beim Rueckflug eilen wir einer Horde Kanguruhs im Tiefflug hinterher, und ich wundere mich erneut ueber die Absurditaet der Situation. Zurueck auf die Strasse, noch ein paar Kilometer weiter kommen, um am fruehen Morgen des naechsten Tages schnell weiter zu kommen. Wieder stehe ich vor der taeglichen Frage, wo ich ein paar Stunden Schlaf finde, auch wenn Schlafen in dieser Phase des Erlebens das letzte ist, zu dem ich motiviert bin. Ich frage Joe nach einem Caravanpark, Joe meint, ich soll mein Zelt in seinem Garten aufbauen. Joe ist laut g'schichtldruckerischer Selbstdefinition eine ehemalige Bikerlegende, stand fuer lange Zeit auf der Todesliste der Hells Angels und verbrachte drei Jahre im Gefaengnis, weil er Speed an seine Truckerfreunde verkauft hat. Joe ist ein cooler Typ, ich mag Joe, auch wenn auf seinem Boden aus Mahagoni ein rostiger, tropfender Kuehlschrank steht, auf dem eine Familienpackung Sedativa und ein unausgefuellter Arbeitslosengeldantrag liegen. Um sechs Uhr steh ich wieder auf der Strasse, es ist die beste Zeit um weite Strecken zurueckzulegen. Wenige Stunden spaeter stehle ich verzweifelten Eltern die Show, als ich im Australia Zoo mit meiner mittlerweile ausgearbeiteten balinesischen Gockelhahnmime den Tiergeraeuschimitationswettbewerb dominiere und ein privates Koalabaerfotoshooting fuer mich gewinne. Zwanzig Stunden Schlaf, vier Stunden Essen und sich zwischendurch paaren... das ist ein Leben, doch ich moechte im Moment nicht einmal mit einem Koala tauschen. Der Zoo ist grossartig, vorallem, weil man viele "Kaefige" von innen sieht, auch, wenn ich das Memorial fuer eine eben verstorbene, 160 Jahre alte Galapagos Riesenschildkroete um zwei Tage verpasst habe.
Abgestumpft durch die konsequent permanente Reizueberflutung finde ich mittlerweile Geschmaecker und Gerueche interessanter als visuelle Eindruecke. Die erste Beruehrung der Zunge mit einer bestimmten Sorte Orangensaft laesst mir einen Zeitpunkt und Abschnitt meines Lebens in Sekundenbruchteilen regelrecht durch die Gedanken fahren. Der Duft einer bestimmten Stadt erinnert mich an eine andere, am anderen Ende der Welt, zieht Querverbindungen zu dem, was ich bis zu diesem Tag erlebt habe. Ich versuche diese Spinnennetze in Worte zu fassen, und tue das seit neuestem auch fuer ein Australisches Reisemagazin. Same same, but different. Heute ist Dienstag, und obwohl der Name eines jeden Wochentags in den letzten Monaten auf Reise beinahe gaenzlich an Bedeutung verloren hat, fuehlt es sich irgendwie so an. Ich denke mir immer wieder, dass meine zweite Studienrichtung vielleicht nicht ganz zwecklos ist. Es ist ueber die letzten Wochen beinahe zum Genuss geworden, verschiedene Dialekte und Akzente zu hoeren und zu bestimmen zu versuchen. Ein Wort, das schon von 200 Metern gegen den Wind erahnen laesst, dass sein Redner aus Irland kommen muss; das deutsch-englische W, das alleine beim Ablesen der Lippenbewegung auf den Magen geht; der kleine, aber feine Unterschied zwischen Amerikanern und Kanadiern. Ich bin fasziniert von Sprache, was Sprache bewirken kann und wie wichtig die Rolle der Art und Weise ist, eine Frage zu stellen. Alles ist moeglich, wenn man nur danach fragt, und es richtig tut.
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snake.gg - 14. Nov, 02:09
Ich stehe zwischen den Dingen. Einhundertundsechs Tage vergangen, einhundertundfuenf noch vor mir. Halbzeit, quasi, und ich weiss nicht, ob ich mich mehr ueber das freuen soll, was ich bis jetzt erlebt habe, oder mehr auf das, was ich noch erleben werde. Auf jeden Fall hab ich bis zum heutigen Tag 70 Naechte in 36 verschiedenen Hostels verbracht, jeweils neun mal in Bushcamps geschlafen und Zelten gecampt, vier mal im Bus, ein mal im Flugzeug, drei mal am Boot, vier mal bei Bekannten und ein mal am Flughafen uebernachtet, und nicht zuletzt eine Nacht in einem Bergdorf und drei Naechte im Dschungel "erlebt" und vertraeumt. Mittlerweile habe ich in 23 verschiedenen, fremden Autos gesessen, drei Handtuecher verloren und 51 Menschen haben sich ueber die Groesse meiner Fuesse gewundert. Nicht, dass sich eine solche Reise in Statistiken fassen laesst, aber zumindest geben sie einen geringen, nachvollziehbaren Ueberblick ueber das, was mir in vieler Hinsicht schon wieder so unglaublich, unwirklich fern vorkommt. Bis jetzt war es der Tag der Heimkehr, den ich noch nicht mal ins Auge fassen konnte und wollte, aber seit einigen Stunden muss ich die Tage nach unten zaehlen, und die erste Nacht in dem heruntergekommenen Guesthouse in der Khao Sarn Road wird immer mehr zu einer unwirklichen Vergangenheitserscheinung.
Neben meinen Handtuechern hab ich nun auch zum ersten Mal meine Schuhe verloren, aber wie alles seh ich auch das als gluecklichen Zufall, befand ich mich doch gerade auf der groesten Sandinsel der Welt, und wo wuerde man lieber seine Schuhe verlieren als auf einem endlos erscheinenden Strand mit subtropischem Hinterland, Frasier Island. Nach dem paradisischen Gefaengnis auf den Whitsundays wird einem hier gemeinsam mit neun anderen Backpackern der Schlussel zum eigenen 4WD Auto und der damit verbundenen Unabhaengigkeit (mal abgesehen von der Flut) in die Haende gedrueckt. Drei Tage Strand wie Sand am Meer, Offroad Roads durch den Dschungel, man-eating Sharks und crap-eating Dingos, unecht klare Suesswasserseen, die an die Blaue Lagune erinnern, und nicht zuletzt ein rostiges Schiffswrack, zu dem ich immer wieder zurueckgekehrt bin, um die unglaubliche Atmosphaere noch einmal zu geniessen, sobald die victoryfingerformenden Japaner samt ihren Stativen das Fotoatelier verlassen haben. Hier laesst sichs leben, hier vergisst man, an was man nicht denken will. Einhundertfuenf Tage noch, das sind 2520 Stunden oder 151200 Minuten, von denen ich jede so geniessen will, wie die letzten 9158400 Sekunden.
Ueberschlagsmaessig.
m
snake.gg - 11. Nov, 00:05
Wiedereinmal frage ich mich, was ich nun schreiben wuerde, wenn die letzen Stunden anders verlaufen waeren, als sie sind. Eventuell wuerde ich jetzt ohne Reisepass, Flugtickets, Geld und, am schlimmsten, ohne Kamera dastehen, und das ist gar nicht so weit hergeholt. Drei Uhr frueh, letzte Nacht. Ein irisches "Bloody Hell..." weckt mich und zwei Typen kriechen gerade unter das Bett neben mir und greifen nach irischen Rucksaecken. Die naechsten Minuten - zwischen Halbschlaf und Adrenalinschub - scheinen wie eine schlechte Feueralarmuebung ohne Feuer. In Boxershorts und ohne Schuhe folgen die Iren dem Herren in schwarz, der ihre Shamrock Taschen noch immer in den Haenden haelt. Ich folge den Iren in die Dunkelheit, wo Wertsachen wie Strand am Meer am Boden verteilt liegen. Hier fliegt ein Flugticket durch die Luft, dort wird eine Mastercard vom Winde verweht, Digitalkameras ueberall. Entleerte Rucksaecke pflastern den Campingground, wir waren offensichtlich nicht der erste Stall, in dem der boese Wolf (zugegeben ein sehr dummer, boeser Wolf) sein Unwesen trieb. Die meisten Backpacker, die ihrem Namen regelrecht entledigt wurden, schlafen noch und ahnen nicht, dass ihre Taschen, sofern sie noch da waren, wie in einer Mullsammelaktion aufgeklaubt und an einen "sicheren" Ort gebracht werden. Nochimmer verfolgen die Iren den ihren, und obwohl sich nach wenigen Stunden herausstellt, dass es ohnehin nur ein amtsbekannter Routinefall war, kann das HBPD (Hervey Bay Police Department) nichts tun ausser vermuten, dass der Typ schon am Weg nach Brisbane ist um Ipod, Nokia und Canon fuer Drogen zu verkaufen.
Ebenso frage ich mich wieder einmal, aus welcher Quelle ich mein Glueck in solchen und anderen Angelegenheiten beziehe. Nichts passiert, nur ein weiteres Abenteuer, eine weitere Geschichte, ein weiterer Beitrag.
Die Whitsundays und das damit verbundene Segeln war zwar schoen, sind aber nicht unbedingt eine eigene Geschichte wert. Man "segelt" ohne Wind, dafuer aber mit einem cholerischen Generator und neunundzwanzig anderen Jugendlichen durch wunderbar tropische Inseln, laesst sich von einer Crew, die sich wie schwer pubertierende Fuenfzehnjaehrige in einem Magic Life Club benimmt, mit loeffelweise Vegimite, der australischen Nutella Version ohne Schokolade dafuer mit jeder Menge natuerlicher Abfaelle, bestrafen und zahlt wie immer mehr, als man sollte. Ich weiss nicht, welche Abzocke mir widerlicher erscheint. Die Thailaendische Version, in der dir ein Gesicht gegenuebersteht, das dich in eine Lage bringt, aus der du nicht mehr aus kannst und horrende Preise fuer Hilfe verlangt, oder die westliche Variante, in der du einem System, einem Komplex, einem Management gegenueberstehst, das man nur mit offiziellen Beschwerdeschreiben erreichen kann, und das einen trotzdem an jeder Gelegenheit ausnimmt, wie eine Weihnachtsgans. Aber mir geht es gut und ich bin mir sicher, dass die Sound of Music Tour Angelegenheit im fernen Salzburg keine andere ist.
Zumindest was den Transport betrifft entweiche ich der touristischen Zwickmuehle, auf jede denkbare "Surcharge" Weise die Pension des australischen Finanzministers zu finanzieren, und werde hoffentlich weiterhin mit ueberdimensionalen Betonmixmaschinen und Familienvaetern mitfahren, die sich in ihr oesterreichisches Au Pair Maedchen verlieben.
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snake.gg - 8. Nov, 23:20
In Grossgmain zieht der tiefe Winter ein, orf.at berichtet ueber ein Sonnensegel, das das Great Barrier Reef vom Verbleichen schuetzen soll, und ich steige in gut zwei Stunden bei angenehmen 30 Grad auf ein Schiff, das fuer drei Tage quer durch die Whitsundays segelt.
Nachdem das Fliegen mittlerweile schon fast zur Routine und jedes Flugzeug zum alltaeglichen Verkehrsmittel geworden ist, war es hoechstens an der Zeit, einmal so richtig verspaetet und muede in einer neuen Stadt anzukommen, mit zwei schmerzenden Oberschenkeln, die sich trotz Tigerbalsam noch immer nicht vom roten Outback erholt hatten. In Cairns selbst verbrachte ich nur wenige Stunden bei Tageslicht. Nach der ersten Auseinandersetzung mit dem an der Ostkueste herrschenden Carpe-Noctem-Reiseklima bestieg ich schon vor vier Tagen ein Boot, um mich 24 Stunden alleine dem grossen Riff und all dem, was darin lebt, zu widmen. Sechs Tauchgaenge und eine Einsicht spaeter, dass ein Sonnensegel vielleicht wirklich keine schlechte Idee waere, gings - gemaess dem australischen Perfektionstourismus - wieder zurueck an Land. Ueber dem Meeresspiegel merkt man kaum, welche Massen an Menschen sich taeglich richtung Open Water (Diver) aufmachen. Erst wenn sich die Schildkroeten von internationalen Streicheleinheiten entziehen und ueber leb- und farblose Korallenfriedhoefe fliehen wird einem bewusst, dass man froh sein sollte, diesen Anblick hier und heute noch erleben zu koennen. Immer wieder stelle ich mir die selbe Frage, wie meine Reise wohl ausgesehen haette, wenn ich nich vor drei Monaten, sondern vielleicht vor dreisig Jahren, oder in dreisig Jahren, oder wann auch immer, nur nicht jetzt, aufgebrochen waere. Was ich dann erlebt haette, was ich nun nicht erleben kann, oder viel wichtiger, was ich dann nicht erleben haette koennen, was ich heute erlebe.
Vor gut zwanzig Jahren war fuer viele Autostoppen wohl auch die einzig "wahre" Art und Weise, Australien zu bereisen. Heute macht das offensichtlich (fast) keiner mehr. Umsomehr ist es eine Herausforderung, Greyhound, PBS und Co abzuhaengen und mit einem ausgestrecken Daumen (und einem selbstgemalten Schild "ANYWHERE SOUTH") am Strassenrand zu stehen. So geschieht es dann auch, dass man einen Frank kennen lernt, der ausser einer Kettensaege nichts im Kofferaum hat und mich nur mitnimmt, weil ich ihm vielleicht sagen kann, welche Kleidung man im Dezember in Russland traegt, da er fuer Weihnachten das erste Mal in seinem Leben sein Land verlaesst, um eine Internetbekanntschaft in Sibirien zu besuchen. Wiedereinmal fuehle ich mich bestaetigt, dass es beim Reisen grundsaetzlich um die Menschen geht, die man trifft, und sonst nie treffen wuerde. Die Naechte verbringe ich in einem Zelt, das mir von Schweizer Nachhausereisenden geschenkt wurde und in Caravanparks, die sich in ein trinkendes Partyvolk und eine mangopflueckende Subkultur aufteilen. Ich fuehle mich wohl, blaettere am naechtlichen Strand mit Fendrich im Ohr mein Handytelefonbuch durch und stelle mir vor, was jeder einzelne von euch im Augenblick wohl gerade so treibt. Nun gehe ich fuer 48 Stunden auf hohe See, und freue mich schon jetzt wieder auf den Moment, wenn ich meinen Daumen ausstrecken kann, der in meinen Augen mehr als alles andere die Offenheit und Freude auf ein neues Abenteuer repraesentiert.
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snake.gg - 3. Nov, 07:26
Es war von Anfang an klar, dass ich nicht nach Australien komme, um den Ayers Rock zu sehen, sondern den Ayers Rock sehen werde, weil ich schon mal nach Australien komme.
Noch zig Kilometer entfernt erkennt man am Horizont schon dieses grosse, rote Ding, das als perfektes Individuum alles andere in seiner Umgebung, woertlich und physisch, uebertrifft. Drei Duzend Busse reihen sich in der streng eingezaeunten Sunset Viewing Area nebeneinander auf, Japanische Touristen werden per Rollstuhl Shuttle Service zu weiss gedeckten Tischen gebracht. Nur die Sonne entzieht sich dem Spektakel und versteckt sich hinter einer dicken Wolkendecke. Trotz fehlendem Antagonisten laesst sich Team Japan die Laune nicht verderben. Die Brut Royale ploppt, Gurken Dips und Kaesecracker regieren die Welt. Und dann eine unerwartete Wendung. Wenige Grade ueber dem Horizont laesst sie sich dann doch noch durch einen hauchduennen Spalt blicken und faerbt den grossen Stein innerhalb eines Sekundenbruchteils von grau-braeunlich-g'spieben in ein majestaetisch purpurnes Rot. Der Champagner laeuft ueber die weit aufgerissenen Lippen zurueck ins Glas und instinktiv greift die japanische Touristenarmee zum Kodak Atelier. Zu spaet. Ein weiteres Mal verdirbt die Sonne ein Foto, fuer das wir alle 20000 Kilometer geflogen sind, doch bevor man das realisiert, sind die Klapptische und Gurkendips schon sicher fuer den naechsten Abend verstaut und alle Schafe werden im Wettlauf um die Poleposition beim All You Can Eat Gourmet Dinner Buffet mit pinken Schirmchen zurueck in den Stall getrieben. Was fuer ein wunderbarer Abend. Knapp zehn Stunden spaeter kehrt man zum analogen (-)Aufgangsspektakel zurueck, klettert gegen den Willen der traditionellen Besitzer auf den Berg, stoepselt sich Musik ins Ohr und denkt an Dinge, die man nicht aufschreiben kann.
Die Aborigines glauben, dass die Welt in ihren Anfaengen ein flaches Land ohne Eigenschaften war und in ihrer Schoenheit und Einzigartigkeit erst von maechtigen Vorfahren auf ihren Reisen durch das neue Land gestaltet wurde. Dieser Gedanke gefaellt mir, und ueberhaupt empfinde ich, dass viele ihrer Geschichten, die die Dinge erklaeren, wie sie sind, wesentlich origineller und kreativer erscheinen, als wissenschaftliche Thesen. Ebenso beeindruckend ist, dass sie keinerlei Beduerfnis haben, ihren Glauben zu verbreiten, mit anderen zu messen oder ihn gar als einzig wahren irgendjemandem aufzuzwingen versuchen. Die "wahren" Geschichten rund um Uluru, Kata Tjuta und co bleiben jedem Australier und Auslaender verborgen, da wir alle als Kinder und nicht Teil ihrer reifen Gesellschaft betrachtet werden. Deshalb faellt es mir schwer, einen grossen, rostigen Stein als "Herz" und "wahre Seele" Australiens zu betrachten, wie es einem das einheimische Touristenbuero vorschreibt.
Nichtsdestotrotz bleibt das Red Center ein beeindruckendes Schauspiel fuer Augen und Oberschenkel und ich habe es nicht bereut, hierher zu kommen. Fuer einen Moment fuehlte ich mich zurueckgesetzt in das Konsumparadies Thailand, als ich fuer nicht mal 18 Euro in einem Helikopter ueber rote Schluchten flog. Fast wie auf einer Liste kann ich bald die Top Ten der Naturhighlights unseres Planeten abhaken, wenn ich morgen ans Great Barrier Reef fliege. Es geht zurueck in die Zivilisation, Verkehrsampeln statt Spinnifex und Skyline statt Bushland.
Wenig beeindruckt, aber beeindruckend bestaetigt.
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snake.gg - 30. Okt, 09:55